Prof. Dr. J?rn von Lucke
Potenziale von Open Government – Gedanken zur Zukunft der Information
Der folgende Beitrag widmet sich den Potenzialen von Open Government. Ausgehend von einigen Gedanken zur Zukunft von Information geht es um die Welt von Open Government. Rasch führt dies zum offenen Regierungs- und Verwaltungshandeln, also zur gar nicht so einfachen Umsetzung des Schlagworts Open Government in Deutschland und in die deutsche Verwaltungskultur. Insofern wird auch der aktuelle Stand der Umsetzung beschrieben. Danach wird ein besonderes Augenmerk auf die Potenziale gelegt, die sich in offenen Daten verbergen. Zum Abschluss werden die drei Oberthesen der 28. Bremer Universit?ts-Gespr?che im Kontext dieser ?berlegungen als Gedanken zu Medien, Kommunikation, Kultur und Gesellschaft reflektiert. Was bedeuten Web 2.0 und verst?rkte Transparenz für die Rollen von Experten und Laien? Wie beeinflusst die Offenlegung von Datenbest?nden Privatheit und ?ffentlichkeit? Und was bedeutet die zunehmende Vernetzung für das Verh?ltnis von Globalit?t und Lokalit?t?
1. Einige Gedanken zur Zukunft von Information
Mit einigen Gedanken zur Zukunft von Information soll dieser Beitrag begonnen werden. Aus der Informatik heraus l?sst sich erstens sehr nachvollziehbar darstellen, welche Bedeutung Daten und Informationen für das Wissen l?ngst haben. Klaus North zeigt dies mit seiner Wissenstreppe (Abb. 1) verst?ndlich auf. Gibt man Daten eine Bedeutung, so erh?lt man Information. Werden Informationen vernetzt, sind sie die Grundlage für Wissen. Darauf setzen das K?nnen, das Handeln, die Kompetenz und die Wettbewerbsf?higkeit auf. Eine Auseinandersetzung mit Daten ist daher elementar und notwendig, denn sie sind die infrastrukturelle Grundlage für Informationsverarbeitung und Wissen. Daten und Informationen werden für die digitale Zukunft eine ?u?erst relevante Bedeutung haben.
Ein zweiter Impuls ergibt sich aus ?berlegungen zur nachhaltigen Zukunftsstadt Ulm. Die Zeppelin Universit?t begleitet derzeit die Stadt Ulm bei einem bürgerorientierten Gestaltungsprozess zur Stadt der Zukunft (http://www.zukunftsstadt-ulm.de). Hier stellt sich die Frage, mit welchen Entwicklungen die Stadt Ulm in den n?chsten 15 Jahren zu rechnen hat. Ohne über prophetische Gaben zu verfügen, muss es erlaubt sein, auf das Moore’sche Gesetz (Moore 1965) zu verweisen. Demnach verdoppeln sich die Rechenkapazit?ten von Schaltkreisen und Chips alle 18 Monate. Im Jahr 2015 sollte man davon ausgehen, dass im Jahr 2030 Standardrechner die Kapazit?t des menschlichen Gehirns erreicht haben. 15 Jahre sind aber keine lange Zeit. ?ber die derzeit von der Politik geforderten Megabit-Bandbreiten für Datennetze mag man aus verschiedenen Gründen noch l?cheln. Realistisch wird sich die Vernetzung 2030 bereits im Gigabit-Bereich abspielen. Dies er?ffnet natürlich einen enormen Zuwachs an Informationen und Daten sowie an Audio- und Videoangeboten. Vermutlich ergeben sich ganz neue M?glichkeiten, von denen heute noch niemand zu tr?umen wagt! Beim Blick 15 Jahre zurück zeigt sich beispielsweise, wie positiv seitdem neue Technologien den Alltag und das Leben ver?ndert haben. Zugleich sollte die hohe Zufriedenheit mit den damals noch neuen Mobilfunknetzen nicht in Vergessenheit geraten. Freude mit Blick auf die Zukunft ist da durchaus weiter angebracht.
Drittens ist eine Standortbestimmung mit Blick auf die historische Evolution des Internets erforderlich. In den vergangenen 25 Jahren hat sich viel ver?ndert. Das Internet der Systeme wurde sehr vielf?ltig mit Leben gefüllt. Mit Social Media und den Web-Diensten der zweiten Generation (Web 2.0) wurde aus dem Internet zum Mitmachen sogar das Internet der Menschen. Mittlerweile l?sst sich bereits das Internet der Daten beobachten, das von einer zunehmenden Vernetzung vorhandener Datenbest?nde gepr?gt ist. Tim Berners-Lee hat diesen Ansatz mit ?Semantic Web“ umschrieben (Berners-Lee/Hendler/Lassila 2001: 34–43). Ganz im Sinne der Ausführungen zu Industrie 4.0 gewinnen derzeit das Internet der Dinge und das Internet der Dienste stark an Bedeutung. Viele intelligent vernetzte Objekte verfügen über Sender, Aktoren und Sensoren, die Daten automatisch generieren und weiterleiten. Auch mit der neuen Herausforderung eines intelligent vernetzten Regierungs- und Verwaltungshandelns (Smart Governmentoder Verwaltung 4.0) wird sich der ?ffentliche Sektor bald intensiv auseinandersetzten müssen (von Lucke 2015). Zun?chst soll es aber um die Potenziale gehen, die sich für Regierung und Verwaltung aus dem Web 2.0 und Web 3.0 ergeben.
2. Open Government
Wird im Folgenden Open Government als Trend in den Mittelpunkt gerückt, so geht es um eine ?ffnung des Staates, die technisch auf dem Internet der Menschen (Web 2.0) und dem Internet der Daten (Web 3.0) aufsetzt und deren Potenziale für Regierung und Verwaltung es zu heben gilt. Allerdings muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass man niemals mit Anglizismen in die deutsche Verwaltung gehen sollte. Die deutsche Amtssprache sowie sprachlich bedingte Irritationen und Missverst?ndnisse sorgen dafür, dass Türen schnell wieder geschlossen werden. Dies ist natürlich ein gro?es Problem für Trends mit international etablierten Bezeichnungen. Es unterstreicht aber auch den Widerstand der ?ffentlichen Verwaltung und ihrer Besch?ftigten gegen Ver?nderungen, insbesondere wenn Führungskr?fte und Mitarbeiter selbst nicht an deren Gestaltung mitwirken k?nnen. Insofern ist es konsequent, darüber nachzudenken, wie ein so weltweit verbreiteter und akzeptierter Begriff in Deutschland durch einen deutschsprachigen Begriff gepr?gt und mit eigenen Schwerpunkten und Inhalten auf internationalem Niveau gestaltet werden kann.
Open Government verfügt über eine lange etablierte Tradition in Europa, die vor allem in den skandinavischen L?ndern gepr?gt wurde. So waren es vor allem die Skandinavier, die Themen wie Offenheit, Transparenz und Informationsfreiheit über die Europ?ische Union in das deutsche Recht und das deutsche Rechts- und Verwaltungsverst?ndnis gebracht haben. US-Pr?sident Barack Obama ist übrigens nicht der Erfinder von Open Government, auch wenn er dessen Umsetzung seit 2009 in den USAmassiv f?rdert und insbesondere mit Unterstützung neuer Technologien auch einfordert. Diese Themen werden in Skandinavien bereits seit 1766 gelebt und eigenst?ndig gepr?gt (Gr?nbech-Jensen 1997: 185–199). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welches politikwissenschaftliche und demokratietheoretische Potential sich durch 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 Transparenz im politischen Alltag, durch eine erh?hte Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns, durch eine erh?hte Informationsfreiheit und st?rkere Bürgerbeteiligung ergibt. Spannend wird es, wenn Akteure aus der Informatik, der Verwaltungsinformatik und dem E-Government diese ?berlegungen aufgreifen und mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien umsetzen. Ausgangslage ist dabei der Gedanke, wie mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien und gesellschaftlichen Medien (Social Media, Web 2.0-Dienste) diese beiden Str?mungen miteinander verknüpft werden k?nnen. Das noch zu konkretisierende Ergebnis, das sich allm?hlich und quasi wie ein Leitbild am neuen Horizont abhebt, l?sst sich am besten mit Open Government 2.0 umschreiben.
Open Government als Synonym für eine ?ffnung von Staat und Verwaltung sollte eigentlich nur als ein Schlagwort verstanden werden, hinter dem sich vielf?ltigste Begriffe verbergen. Jeder scheint eine eigene Definition zu favorisieren, die unterschiedliche Facetten ein- beziehungsweise ausschlie?t.
Einige verstehen unter Open Government vor allem das Potenzial offener Daten. Sie setzen auf die sich ergebenden Chancen, wenn Datenbest?nde für andere frei zug?nglich gemacht werden. Allerdings umfasst dies weder eindeutig personenbezogene Daten noch schutz- und geheimnisbedürftige Daten. Viel澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 geht es um die Ver?ffentlichung von Daten, die bereits frei zug?nglich sind. Sie beinhalten keine Geheimnisse und unterliegen auch keinerlei diplomatischen oder milit?rischen Restriktionen. Solche offenen Datenbest?nde, die eigentlich jederzeit frei zug?nglich gemacht werden k?nnten, bergen ein enormes Potenzial für Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Dieser Gedanke wird im Anschluss noch vertieft betrachtet.
Andere Akteure stellen sich der Herausforderung, wie mit Hilfe von Web 2.0-Technologien der politische Alltag transparenter gemacht werden kann. Oder sie widmen sich der Frage, welches Potential sich durch Social Media für eine intensivere Bürgerbeteiligung in Staat und Verwaltung er?ffnet. Genauso spannend ist das Potenzial, das sich durch neue Formen der IT-gestützten Zusammenarbeit mit Hilfe von Social Media ergibt. Hier ist beispielsweise an Crowdfunding, an ein offenes Wissensmanagement und an eine gemeinsame Umsetzung von Aktivit?ten zu denken (von Lucke 2012).
?ber offene Schnittstellen bieten sich für Gesch?ftsprozesse weitere M?glichkeiten der ?ffnung. Elektronisch lassen sich Abl?ufe und Prozessketten neu zusammenstellen und bew?hrte Gesch?ftsprozesse andocken. Die Schwierigkeiten bei der administrativen Bew?ltigung der Flüchtlingskrise zwischen Bund, L?ndern und Kommunen zeigen, dass man in Deutschland dringend darüber nachdenken muss.
Andere Impulsgeber fordern eine offene Staatskunst ein: Welche Handwerkszeuge ben?tigen eigentlich junge Politiker, wenn sie künftig in offenen Strukturen Entscheidungen zu treffen haben? Wer bildet eigentlich die künftige Generation an Politikern im Umgang mit offenen Strukturen und offenen Werkzeugen aus? Wie s?he der von Philipp Müller (2010) verfolgte Ansatz einer offenen Staatskunst konkret aus?
Aus der Wirtschaft ist der Ansatz der offenen Innovation bekannt, bei dem Entwicklungsprozesse und Ideenfindung für Kunden und Partner ge?ffnet werden (Chesbrough 2006). Aber welches Potenzial steckt eigentlich in der offenen Innovation für Staat und Verwaltung? Welche M?glichkeiten er?ffnen sich durch offene gesellschaftliche Innovation, wenn auch die Zivilgesellschaft sehr viel st?rker in Innovationsprozesse eingebunden wird? (Raffl et al. 2015) Gerade vor dem Hintergrund, dass sich Staat und Verwaltung eigentlich kaum noch eigene Innovationszentren leisten, stellen sich diese Fragen umso 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育.
Ebenso vertiefungswürdig ist die Auseinandersetzung mit freien Zug?ngen zu den Informationsbest?nden staatlicher Stellen im Sinne der Informationsfreiheit. Kombiniert man diese ?berlegungen mit verwandten Open-Data-Diskussionen über den freien Zugang zu Forschungsergebnissen der Universit?ten und Forschungsinstitute in der ganzen Welt (Open Access), so erahnt man die noch schlafenden Produktivit?tsreserven, die zur Innovation beitragen k?nnten. Weitere Potenziale er?ffnen sich aus offenen Standards und offenen Schnittstellen, aus offener Hardware und offener Software (Open Source Software Code), die frei zug?nglich sind und von Interessierten gemeinsam weiterentwickelt werden k?nnen.
Mit diesem Streifzug durch die verschiedenen Felder wird unterstrichen, dass sehr viele Potentiale im Begriff Open Government stecken, aber dass diese Potentiale auch erst noch gehoben werden müssen. Und das ist genau einer der Auftr?ge, denen sich The Open Government Institute der Zeppelin Universit?t (http://togi.zu.de) in Friedrichshafen verpflichtet hat. Was ver?ndert sich für Staat und Verwaltung aber konkret durch Open Government und die skizzierten ?ffnungen? Die enge Zusammenarbeit mit den Politikwissenschaftlern an der Zeppelin Universit?t legt nahe, diese Trends und Ver?nderungen an einem sechsstufigen Politikzyklus (in grober Anlehnung an Laswell 1956) darzustellen. Ausgangslage ist dabei ein Problem, für das die Politik diverse L?sungen auf die politische Agenda setzt. Zum Abschluss der ?ffentlichen Meinungsbildung trifft die Politik dann eine Entscheidung zum anzugehenden L?sungsweg. Nun spielt die ?ffentliche Verwaltung eine zentrale Rolle, denn sie bekommt den Auftrag, die gefundene L?sung zu implementieren. Im Anschluss schaut dann jeder auf die Umsetzung. Diese wird überwacht, bewertet und evaluiert, verbunden mit der Hoffnung, das Problem so gel?st zu haben.
Was ver?ndert sich durch Open Government? Mit Hilfe von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien kann sich heute um jedes Problem eine (r?umlich verteilte) Gemeinschaft bilden, etwa auf Basis gesellschaftlicher Netzwerke (Social Networks) wie 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育, Twitter und Co.Diese cloudbasierten Dienste helfen den Menschen, sich zu organisieren. ?ber das Internet kann eine Gruppe auch informieren. So k?nnen Personen, Gruppen und Institutionen über das Internet und auf Basis offener Daten sehr transparent über den Status eines Anliegens oder den Zustand eines Objektes zu jedem Zeitpunkt innerhalb dieses Kreislaufs informieren. Mit Werkzeugen zur offenen Textverarbeitung k?nnen nun Menschen in gro?en Gruppen gemeinsam Texte schreiben, diese editieren und korrigieren. Andere Werkzeuge erm?glichen es, in gro?en Gruppen Objekte und Artefakte gemeinsam zu gestalten und zu designen. Weitere Dienste, die etwa aus dem Umfeld der Piratenpartei bekannt sind, erm?glichen es, in gro?en Gruppen über Vorhaben zu diskutieren und so eine offenere Form der Meinungsbildung zu pflegen.
Technisch ist es m?glich, in gro?en Gruppen so sogar zu Entscheidungen und Beauftragungen zu kommen. Weitere Potenziale ergeben sich bei der Umsetzung aus dem gemeinsamen Handeln und der gemeinsamen Programmierung in gro?en Gruppen. Das Betriebssystem Linux, an dem viele Menschen weltweit mitgewirkt haben, ist ein sehr sch?nes Beispiel für verteilte Formen der Zusammenarbeit. Und über das Internet l?sst sich auch in den entsprechenden Plattformen jedes Handeln und damit auch jedes Verwaltungshandeln gemeinsam kommentieren und bewerten. Sicherlich handelt es sich hier erst um die Anf?nge einer technischen Entwicklung, die sich in den n?chsten Jahrzehnten mit weiteren offenen und kollaborativen Werkzeugen aber noch sehr viel weiter ausbreiten und entwickeln dürfte. Diese neue Form von Offenheit, ?ffentlichkeit und Transparenz wird sehr viel in Staat und Verwaltung ver?ndern. Staat und Verwaltung tun sicherlich gut daran, sich frühzeitig auf diese ?nderungen vorzubereiten und nach passenden Antworten und L?sungen zu suchen.
3. Offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln
Im Rahmen einer Situationsbeschreibung gilt es zun?chst festzuhalten, wie Staat und Verwaltung in Deutschland auf diese Entwicklungen handeln und reagieren und wie sie an diese Themen herangehen. Aus dem Blickwinkel der Verwaltungswissenschaften sollten aus der Vielzahl an Umsetzungsm?glichkeiten zun?chst jene bestimmt werden, die sich für ein offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln in Deutschland eignen, um dieses nachhaltig mit Leben zu füllen. Im vom Fachbereich ?Informatik in Recht und ?ffentlicher Verwaltung“ der Gesellschaft für Informatik ver?ffentlichten Memorandum zur ?ffnung von Staat und Verwaltung finden sich wichtige Impulse für Open Government in Deutschland: Offenheit, Transparenz, ein st?rkeres Verantwortungsbewusstsein, Bürgerbeteiligung, neue Formen der Zusammenarbeit, Koh?renz und ein am Gemeinwohl orientierter Nutzen, Mehrwerte und Effizienz (GI 2012). In Deutschland haben sich Bund und L?nder parallel dazu zusammengesetzt und ihre Vorstellungen zu einem ?offenen Regierungs- und Verwaltungshandeln“ skizziert. Sinngem?? halten sie in einem Eckpunktepapier (Bund-L?nder-Arbeitsgruppe 2012) fest, dass sie Transparenz, Teilhabe und Zusammenarbeit zwar f?rdern wollen, aber eigentlich keine ausreichenden finanziellen Ressourcen haben. Deswegen fangen sie zun?chst nur mit Aktivit?ten zu offenen Verwaltungsdaten (Open Data) an.
Zugegeben ist an dieser Stelle anzumerken, dass wenn es keine Gelder für die Aufgabe gibt, auch kaum Personal für eine Umsetzung bereitgestellt werden wird. In Deutschland dürfen sich Ende Oktober 2015 auf eineinhalb Stellen Mitarbeiter im Bundesministerium des Innern mit der Umsetzung von Open Government beziehungsweise eigentlich nur von Open Data auf Bundesebene Gedanken machen. Für Studien, rechtliche Gutachten, einen Prototypen und weitere Pilotvorhaben standen rund 600.000 Euro in den letzten fünf Jahren zu Verfügung. Damit wurde das gemeinsame Datenportal Govdata (https://www.govdata.de) für Bund, L?nder und Kommunen auf Basis eines Datenkatalogverbunds aufgebaut. Die Kollegen vom Fraunhofer-Institut FOKUS in Berlin waren in dem Siegerkonsortium sehr aktiv und haben einige Akzente setzen k?nnen. Aber 600.000 Euro bei 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 als 80 Millionen Bundesbürgern bedeutet auch, dass für die Umsetzung von Open Government bisher nicht einmal ein Cent pro Bundesbürger in die Hand genommen wurde. Der Katalog erschlie?t die offenen Datenbest?nde in Deutschland. Bedauerlicherweise finden sich im Datenkatalog im November 2015 erst Datenbest?nde von vier Bundesbeh?rden, von sechs Bundesl?ndern, darunter auch der Hansestadt Bremen, und von 29 der über 11.000 Kommunen in Deutschland. Es steckt also noch viel Potenzial in offenen Verwaltungsdaten. Zu dessen Nutzung müssten allerdings die vorhandenen Datenbest?nde systematisch und fl?chendeckend erfasst werden. Im politisch vorgegebenen Rahmen mit eineinhalb Stellen an Personal und 600.000 Euro für Investitionen konnte zwar schon einiges erreicht werden, aber hohe Priorit?t besitzt das Thema in der Bundesrepublik Deutschland derzeit nicht.
Andere Staaten bewerten die Potenziale anders. Gro?britannien lud beispielsweise im Rahmen des G8-Treffens 2013 die Staatschefs der führenden Industrienationen auf die britischen Inseln, um dort über die Potenziale von Open Data für Wirtschaft und Gesellschaft zu sprechen. Auch Bundeskanzlerin Merkel war eingeladen.
In Enniskillen vereinbarten die politischen Führer der G8-Staaten eine Open Data Charter (G8 2013), weil sie das Thema für wichtig für Wirtschaft und Wohlstand einstufen. Jede teilnehmende Gro?macht verpflichtet sich, innerhalb von drei Monaten einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung dieser Open Data Charter zu erarbeiten. In Deutschland stand zun?chst aber die Bundestagswahl 2013 an und dies l?hmte alle Aktivit?ten. Die Bürger mussten dann 18 Monate warten. Im Rahmen der Digitalen Agenda der Bundesregierung gibt es nun einen Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der G8 Open Data Charta (BMI 2014). Eigentlich handelt es sich dabei aber nur um einen Plan des Bundes und betrifft nur Bundesbeh?rden. Jede Bundesbeh?rde ist aufgefordert worden, mindestens zwei Datens?tze binnen einer ersten Frist zur Verfügung zu stellen. ?berspitzt formuliert dürfen sich eineinhalb Mitarbeiter um die Erschlie?ung von je zwei Datens?tzen pro Bundesbeh?rde kümmern. Es w?re zumindest wünschenswert, dass diese Mitarbeiter der Sache noch etwas erhalten bleiben, aber selbst diese Hoffnung scheint sich nicht zu erfüllen. L?nder und Kommunen werden hier noch sehr viel st?rker eigene Akzente setzen müssen (siehe hierzu detailliert: K?ppl 2016).
Andere Staaten arbeiten bei Open Government dagegen weltweit eng zusammen. Das Thema Open Government wird in der Open Government Partnership (OGP: http://www.opengovpartnership.org) in ganz unterschiedlichen Varianten erschlossen. Mittlerweile kooperieren in dieser internationalen Partnerschaft 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 als 60 Staaten. Allerdings beteiligen sich weder Deutschland, noch ?sterreich und auch nicht die Schweiz an der OGP. Die ablehnende Haltung wurde unter anderem mit dem Argument begründet, man h?tte ja nichts vorzuweisen und man wolle sich auch nicht ohne eigene Aktivit?ten engagieren. Dies ist einer der Gründe für den Referenten, sich mit anderen Akteuren im Arbeitskreis für einen Beitritt Deutschlands zur Open Government Partnership zu engagieren, von dem unserer Ansicht nach die Bundesrepublik profitieren k?nnte. Die Mitglieder im Arbeitskreis sind der ?berzeugung, dass Transparenz, Rechenschaftslegung, Bürgerbeteiligung und Korruptionsbek?mpfung durchaus wichtig für das Gemeinwohl sind und den Staat st?rken. Es gibt aber durchaus Meinungen, wie beispielsweise vom ehemaligen Staatssekret?r G?ttrik Wewer publiziert, dass die Open Government Partnership nicht im deutschen Interesse liege. Viel澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 sei dies alles nur ein Versuch der Amerikaner, die Weltherrschaft zu erobern, um Deutschland mit Hilfe ihrer Geheimdienste und des kalifornischen Kapitalismus zu übervorteilen (Wewer 2014). Damit forderte er eine Replik ein, in der der Nutzen für die Bundesrepublik noch einmal unterstrichen wurde (von Lucke/Herzog/Heise 2014). ?hnlich sehen das auch einige Bundesl?nder und Kommunen. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat ein Transparenzgesetz verabschiedet und mit einigen Investitionen ein Transparenzportal (http://transparenz.hamburg.de) aufgebaut. Das Hamburger Transparenzgesetz z?hlt zur zweiten Generation der Informationsfreiheitsgesetze und macht die Hansestadt zu einem fortschrittlichen und sehr transparenten Bundesland, das so Open Data auch mit Leben füllt und Open Government richtig breit umsetzt. Auch in der Hansestadt Bremen, einem Stadtstaat mit nicht ganz so umf?nglichen finanziellen M?glichkeiten, werden diese Ans?tze schon seit 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育eren Jahren umgesetzt. Das Land Bremen verfügt bereits seit 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育eren Jahren über ein eigenes Transparenzportal (http://www.transparenz.bremen.de) und erschlie?t systematisch die eigenen Datenbest?nde. Welche Potenziale würden sich noch ergeben, wenn der Ansatz offener Daten in Deutschland noch intensiver verfolgt werden dürfte?
4. Potenziale von offenen Daten
Die mit offenen Daten verbundenen Potenziale lassen sich im Rahmen einer Potenzialanalyse am besten an Hand einiger Fallbeispiele darstellen. Die gr??te Herausforderung für Staat und Verwaltung ist jedoch der kulturelle Paradigmenwechsel, der mit einer ?ffnung staatlicher Datenbest?nde verbunden ist. Die klassische deutsche Verwaltungskultur zelebriert bisher das Dienst- und Amtsgeheimnis. Bisher war also alles geheim, was nicht ausdrücklich ?ffentlich war. Der Idee der ?ffnung von Staat und Verwaltung folgend sollte nun erstens alles automatisch ver?ffentlicht werden, was nicht ausdrücklich geheim ist. Das bedeutet für die Besch?ftigten einen massiven und grundlegenden Kulturwandel, der sicherlich als Beitrag zur europ?ischen Integration zu verstehen ist, für den es aber auch zu überzeugen und zu werben gilt.
Schlie?lich sollen sie jetzt genau das Gegenteil von dem machen, was sie bisher im Rahmen ihrer Ausbildung im Verwaltungsdienst und als Rechtsreferendare gelernt sowie im t?glichen Dienstgesch?ft gelebt haben. Ein solcher Wandel braucht Kraft und Zeit. Zweitens entscheiden Beh?rden bisher selbst, wann sie welche Daten für welche Zwecke zur Verfügung stellen wollen. Offene Verwaltungsdaten bedeuten auch hier einen Kulturwandel. Beh?rden sollen künftig proaktiv alle publizierten Daten im vollen Umfang zeitnah nach der Ver?ffentlichung zur Verfügung stellen. Konkret bedeutet dies, dass erg?nzend zu Studien auch gleich die grundlegenden Daten bereitgestellt werden. Damit k?nnte jeder die Studien zeitnah überprüfen und gegebenenfalls auf Fehler hinweisen. Bisher war es drittens so, dass Beh?rden alleine über die Nutzungsrechte an ver?ffentlichten Daten verfügen durften. Sie entschieden, wer mit den Daten arbeiten durfte. Oft gaben sie Daten ausschlie?lich für den privaten Gebrauch heraus. ?ber die Erlaubnis einer kommerziellen Nutzung wurde immer von Fall zu Fall entschieden. Offene Verwaltungsdaten bedeuten, dass publizierte Datenbest?nde von jedermann für alle Zwecke kostenfrei verwendet werden k?nnen, ohne eine Beh?rde um Erlaubnis zu fragen. Diese drei Paradigmenwechsel unterstreichen den Kulturwandel, der auf die deutsche Gesellschaft zukommen wird.
In Bremen w?re es durchaus von Interesse einmal wissenschaftlich fundiert zu erforschen, welche Konsequenzen eine gezielte ?ffnung für das ?ffentlich-rechtliche Rundfunkwesen und für Radio Bremen haben k?nnte.
Die Nutzung von offenen Datenbest?nden l?sst sich im Alltag schon l?ngst beobachten. Beispielsweise stellt die OpenStreetMap(http://www.openstreetmap.de/karte.html) seit 2006 eine offene weltweite Digitalkarte mit sehr vielen detaillierten Eintr?gen bereit, an der Menschen und Verwaltungen aus aller Welt auch heute noch mitwirken. Sie erg?nzen, überprüfen und korrigieren die gemeinsamen Geodaten, aus denen vielf?ltigste Kartenwerke generiert werden k?nnen. Beispielsweise nutzt TRAVIC (Transit Visualization Client: http://tracker.geops.de/?z=14&s=1&x=980963.6145&y=6998759.6079&l=transport) die OpenStreetMap zur Darstellung, wo aktuell Busse, Stra?enbahnen und Züge in Bremen fahren. Es gibt eine Vielzahl solcher kartenbasierter Visualisierungen, die auf dem offenen Geodatensystem der OpenStreetMap aufsetzen, da diese eine Nutzung ohne Zahlung von Nutzungsgebühren anbietet. Auch viele Apps nutzen diese offene Geodatengrundlage. Ihre Entwickler k?nnen auf den offenen Geodatenbest?nden aufsetzen und eigene L?sungen entwickeln, ohne Zeit für die eigene Geodatenprogrammierung zu verlieren.
Gesellschaftlich relevant und durchaus bemerkenswert sind jene Anwendungsfelder, in denen offene Daten zu positiven Ver?nderungen führen und die Welt besser machen. Zu diesen Anwendungsfeldern z?hlen die Gesundheitsdaten. In Gro?britannien werden seit Jahren die ?berlebensraten nach Operationen und anderen klinischen Eingriffen gesammelt und analysiert. Sie wurden aber erst vor einigen Jahren auch für die Bev?lkerung frei zug?nglich gemacht. Bürger k?nnen jetzt nachsehen, wie gro? die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie in einem bestimmten Krankenhaus eine Operation am offenen Herzen überleben. Was machen die betroffenen Patienten? Vor einer Operation schauen sie natürlich, dass sie in jenes Krankenhaus gehen, in dem derzeit die h?chsten ?berlebensraten beobachtet werden. Tats?chlich stellten die Krankenh?user binnen eines Jahres fest, dass es eine Nachfrageverschiebung gab. Ein Jahr nach Ver?ffentlichung der Daten erh?hten sich zugleich die ?berlebensraten in ganz Gro?britannien um 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 als 50 Prozent. Wie war so etwas m?glich? Die Patienten suchten sich natürlich ver澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育t jene Kliniken aus, in denen die Rahmenbedingungen besonders gut waren. Man recherchierte und stellte fest, dass die meisten Patienten abends und am Wochenende starben, wenn keine ?rzte anwesend waren. In aller Konsequenz wurden dann überall die Bereitschaftszeiten der ?rzte angepasst, so dass ?rzte auch abends und am Wochenende zur Verfügung standen. Das ist sicherlich auch einer der Gründe, warum deutsche Mediziner am Wochenende ver澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育t in Gro?britannien anzutreffen sind. Wenn eine ?ffnung von Datenbest?nden Menschenleben retten kann, dann sollte dies alle Anstrengungen wert sein.
In Gro?britannien setzt man zudem sehr auf datengetriebene Innovation und datengestützte Innovationswettbewerbe. Beispielsweise führt die britische Vermessungsverwaltung Ordnance Survey (http://www.ordnancesurvey.co.uk) regelm??ig den Geovation-Wettbewerb (https://www.geovation.org.uk) durch, der sich innovativen Fragestellungen widmet, um Probleme mit Hilfe von geodatenbasierten L?sungen optimal zu beseitigen. In den vergangenen Jahren wurde beispielsweise die Frage gestellt, wie sich Gro?britannien künftig selbst ern?hren k?nnte oder wie auf Basis vorhandener Verkehrsdaten das Verkehrswesen in Gro?britannien verbessert werden k?nnte. Die Organisatoren bekommen in sehr kurzer Zeit sehr viele konstruktive Vorschl?ge, die weiter betrachtet werden.
In Deutschland wird dieses Innovationspotenzial bisher noch nicht systematisch erschlossen und gehoben. Aber gerade in den frei zug?nglichen Daten stecken enorme Entwicklungspotenziale für Wirtschaft und Gesellschaft. Mit offenen und frei zug?nglichen Daten sind in diesem Zusammenhang Datenbest?nde gemeint, die Unternehmen oder Bürger anderen frei zur Verfügung stellen. Hierzu z?hlen etwa Bildersammlungen, Musikdaten, Publikationsdaten und Lexikadaten, Forschungsdaten und medizinische Forschungsergebnisse, aber auch B?rsen-, Unternehmens-, Produktions-, Handels-, Finanz-, Geo- und Verwaltungsdaten.
Im Kontext von Verwaltungsdaten sitzen Staat und Verwaltung l?ngst auf vielen Datensch?tzen, die schrittweise ge?ffnet werden k?nnten. Zu denken ist hier etwa an Kulturdaten, an Bildungsdaten, an Schuldaten, an Geodaten und an Haushaltsdaten. Allerdings reicht es nicht 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 aus, sich nur verwaltungsseitig Gedanken zu machen, welche Datenbest?nde vorhanden, welche zu ?ffnen und welche zu erschlie?en sind. Viel澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 muss man sich die Frage stellen, wie eigentlich eine offene Schulpolitik auf Basis offener und frei zug?nglicher Schuldaten zu gestalten ist. Wie kann mit Schulqualit?tsdaten und Performancedaten die Qualit?t der derzeitigen Schulausbildung überprüft und gezielt verbessert werden? Unterrichtsausf?lle und Abbau des Lehrangebots sind sicherlich nicht im Sinne der Schüler und Eltern. Ebenso stellt sich die Frage, wie eine offene Verkehrspolitik oder eine offene Umweltpolitik mit Leben zu füllen ist. Somit geht es im Kern um eine Gesch?ftsfeldentwicklung aus staatlicher Sicht um offene Datenbest?nde. Dies führt zu substantiellen Ver?nderungen in Politik und Verwaltung, mit denen in den kommenden Jahren auf breiter Front zu rechnen sein wird, wenn die grundlegenden Datenbest?nde den Bürgern und der Presse frei zur Verfügung stehen.
Eine im Auftrag der G20 angefertigte Untersuchung von Gruen/Houghton/Tooth 2014 zeigt, dass offene Daten auch für die Wirtschaft von Interesse sind. Bei recht geringem Aufwand k?nnen Staaten durch eine ?ffnung ihrer Datenbest?nde zum nationalen Wirtschaftswachstum beitragen. In einer Studie hat das Warschauer Institut für ?konomische Studien 2014 herausgearbeitet, dass im optimalen Falle Open Data und Big Data zu einem zus?tzlichen Wirtschaftswachstum von bis zu 206 Milliarden Euro im Jahr 2020 in der Europ?ischen Union führen k?nnte (WISE 2014). Die Technologiestiftung des Landes Berlin verkündet im Titel einer Studie, dass Berlin auf digitalem Gold sitze (TSB 2014). Und w?hrend in der Bundesrepublik Deutschland sich eineinhalb Mitarbeiter auf Bundesebene offenen Daten widmen, investiert Gro?britannien mit der Errichtung eines Open Data Institutes (http://theodi.org) nicht nur in ein eigenst?ndiges Forschungsinstitut für offene Daten, sondern es erg?nzt dieses noch um einen Inkubator für neue Unternehmen. In Gro?britannien werden jetzt ganz systematisch neue Start-Ups entwickelt, die auf Basis von frei zug?nglichen Datenbest?nden neue Gesch?fte und Ums?tze generieren sollen. Dies geschieht in der Erwartung, dass M?rkte künftig von denjenigen Wirtschaftsakteuren entwickelt und dominiert werden, denen es gelingt, als erstes den gr??ten Anteil in diesen neuen M?rkten zu erringen. Die Briten gehen da ganz strategisch und systematisch heran.
An einem weiteren Beispiel l?sst sich zeigen, dass das Wirtschaftspotenzial auch finanziell gemessen werden kann. Das Unternehmen climate.com(The Climate Corporation: https://www.climate.com) sammelt seit Jahren Klimadaten aller Art und verschneidet sie miteinander. Mit ihrem Ansatz müssen sie sehr erfolgreich gewesen sein, denn Monsanto hat es im Jahr 2013 für 1,1 Milliarden US-Dollar aufgekauft. Der Agrarkonzern Monsanto entschloss sich zum Kauf, da gerade auf Basis der offenen Datenwissenschaften substantiell bessere Ergebnisse für das eigene Kerngesch?ft zu erwarten sind, so dass sie ihre Kunden künftig auf Basis von Daten und Datenanalyse noch effektiver bedienen k?nnen (Monsanto Company 2013).
Offene Daten und offene Verwaltungsdaten werden sicherlich noch eine Vielzahl an attraktiven Gesch?ftsfeldern er?ffnen. Die Bundesrepublik Deutschland sollte ein Interesse haben, dass diese neuartigen Unternehmen nicht nur in Gro?britannien gegründet werden. Sonst best?nde die ernste Gefahr, dass die deutsche Wirtschaft den Anschluss an diese internationale Entwicklung verliert.
5. Implikationen für Kultur und Gesellschaft
Was bedeutet diese Entwicklung für die in den Leitfragen angesto?enen Beziehungen? Generell zeigen sich wichtige Implikationen für Kultur und Gesellschaft.
Die erste Leitfrage setzt sich mit der Ver?nderung des Verh?ltnisses von Experten zu Laien im Zuge des Medienwandels auseinander. Das Internet zum Mitmachen (Web 2.0) bietet neue Formen der Zusammenarbeit, Transparenz und Offenheit. Viele Angelegenheiten werden in einer neuen Art und Weise transparent für alle Interessierten, die man sich so bisher kaum vorstellen konnte. Eine st?rkere Nutzerbeteiligung ist auf Knopfdruck m?glich. Dies ver?ndert die Mobilisierungsm?glichkeiten des Einzelnen, erzeugt eine st?rkere Offenheit und generiert neuartige Vernetzungseffekte. Dies alles hat Konsequenzen für Laien und für Experten. Für Laien wird es zunehmend einfacher, sich Expertenwissen anzueignen und sich so rasch zu einem Experten herauszuputzen. Zugleich wird die Expertise der Experten von Laien offen in Frage gestellt. Oft kommen dabei auch obskure Argumente zum Tragen, die ergoogelt oder in der Wikipedia gefunden wurden. Andererseits erfahren Ideen und Wissen durch das Internet eine enorme Diffusionsbeschleunigung. Mit disruptiven Innovationen und Ver?nderungen muss gerechnet werden. Die Entwicklung der vergangenen Jahre bietet einen Vorgeschmack auf die Ver?nderungen, die das Internet der Dinge in den n?chsten fünf bis zehn Jahren noch bringen wird. Gleichzeitig ver?ndert sich Position und Rolle der Kunden, der Bürger und des Publikums. Einige Wissenschaftler sprechen mittlerweile vom Prosumenten statt vom Konsumenten, also von Bürgern, die gleichzeitig produzieren und konsumieren (Toffler 1980 und Leitl 2008). Die Wikipedia hat mittlerweile für das pers?nliche Wissensmanagement vieler Menschen eine wichtige Bedeutung. Wissen sie mal nicht weiter, schauen sie in der Wikipedia nach, selbst wenn sie wissen, dass jederzeit jedermann die Inhalte ?ndern kann. Einige von ihnen arbeiten an diesem Online-Lexikon auch selbst aktiv mit. Wikipedia zeichnet sich nicht nur durch viele gute Informationen aus, sondern auch durch Eintr?ge mit hoher Trefferrelevanz in Suchmaschinen. Viele Bürger fangen h?ufig zuerst bei Wikipedia und mit Hilfe der Suchmaschine Google an, sich zu informieren, um nach und nach zu den richtigen Quellen und Informationen zu gelangen. Zudem treten auch neue Experten und Gestalter auf, mit denen bisher niemand wirklich gerechnet hat. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel formulierte pointiert im Heft 10/2015 die Schlagzeile: ?Die Weltregierung - Wie das Silicon Valley unsere Zukunft steuert“. Die folgenden Fragen müssen daher aus einer deutschen Perspektive erlaubt sein: Haben wir eigentlich noch die Gestaltungsmacht und die Gestaltungskraft in unseren H?nden? Werden wir von unserer Regierung nur noch verwaltet? Wer soll gestalten dürfen? Wollen wir noch einmal in die Lage kommen, unser Leben selbst zu gestalten? Wie sollten wir hier gezielt in die St?rkung unserer Gestaltungskraft investieren? Zusammengefasst wird es durch Offenheit und Transparenz zu Verschiebungen im Verh?ltnis zwischen Laien und Experten kommen.
Die zweite Leitfrage besch?ftigt sich mit dem Gegensatz von Privatheit und ?ffentlichkeit im Zuge des Medienwandels. Mit der zunehmenden Verbreitung des Internets l?sst sich auch ein sehr gro?er Strukturwandel der ?ffentlichkeit beobachten. Sachen, Dinge, Angelegenheiten und Ereignisse werden transparent, nahezu in Echtzeit. Permanent wird alles aktualisiert. Menschen bekommen immer ?fter ein schlechtes Gewissen, wenn irgendwas irgendwo passiert, sie es aber nicht 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 mitbekommen haben. Zudem werden viele Dinge intelligent vernetzt. Solche smarten Dinge haben aber auch Nebeneffekte, denn sie k?nnen auch Dritte über den Eigentümer und seine Aktivit?ten in Echtzeit informieren, ihn mobilisieren und sogar gezielt steuern. Smarte Dinge dringen so in die Privatsph?re der Bürger ein und machen auch diese offen und transparent, soweit sie nicht deaktiviert werden. Dies sind Anzeichen für ein hartes Ringen um die Privatsph?re der Menschen im offenen Internet und in der zunehmend offenen Gesellschaft. Verteidigern des Datenschutzrechts deutscher Pr?gung wird angst und bange, wenn sie heute schon die künftigen ?berwachungsm?glichkeiten im Internet der Menschen, Daten, Dinge und Dienste erahnen. Für die junge 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育-Generation scheint sich diese Sorge dagegen nicht zu stellen. Sie sind in einer Welt ohne Datenschutz (Kirkpatrick 2010: ?The Age of Privacy is over“) ganz selbstverst?ndlich gro? geworden. In Bewerbungsgespr?chen an der Zeppelin Universit?t h?rt man oft, sie h?tten doch nichts zu verbergen. Die ?berwachung des Internets durch die US-amerikanischen, russischen, chinesischen und deutschen Geheimdienste sorgt andererseits für ein massives Misstrauen in weiten Teilen der Bev?lkerung. Die politischen Diskussionen und Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung und zur Netzneutralit?t zeigen, dass dieses Misstrauen die Bürger dauerhaft begleiten wird. Zusammengefasst tr?gt jede ?ffnung zu 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 ?ffentlichkeit bei, insbesondere wenn auf Privatsph?re wenig Wert gelegt wird. Da in Deutschland die Privatsph?re zu Recht noch einen hohen Stellenwert besitzt, sollte vor einer ?ffnung bestimmter Datenbest?nde aber abgewogen werden, ob der Nutzen m?gliche Verluste rechtfertigt.
Die dritte Leitfrage geht auf die Ver?nderungen im Verh?ltnis von Lokalit?t und Globalit?t ein. Die Gesellschaft wird zunehmend gepr?gt von ganz unterschiedlichen Arten an Offenheit: technische Offenheit, soziale Offenheit und inhaltliche Offenheit. Hinzu kommt das berühmte Null-Grenzkosten-Ph?nomen (Rifkin 2014). Die Ersterstellung eines digitalen Artefakts kostet einiges, aber die zus?tzlich anfallenden Kosten für dessen Nutzung über das Internet gehen eigentlich gegen Null. Es ist dabei vollkommen egal, wie viele Leute es nutzen werden. Grenzkosten in der N?he der Null machen Investitionen attraktiv. Hinzu kommen eine ganze Reihe an Netzeffekten und Netzwerkeffekten. Auch in einer Diaspora kann man pl?tzlich Akteure miteinander vernetzen, so dass diese sich nicht 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 als ?einzelne Gl?ubige unter lauter Ungl?ubigen“ fühlen, sondern als Teil einer ?weltweit gut organisierten Gruppe der wahren Gl?ubigen“. Lokalit?t bekommt so eine ganz andere Bedeutung. Menschen k?nnen sich weltweit zu lokalen wie zu globalen Netzwerken vernetzen. Zudem l?sst sich hier eine Glokalisierung beobachten. Einerseits k?nnen wir eine weltweite kulturelle Konvergenz feststellen, die sich in gleichartigen Produkten, Dienstleistungen und Artefakten wiederspiegelt. Gleichzeitig kann man in solchen Entwicklungen immer wieder auch lokale Besonderheiten etwa mit Bezug auf Sprache, Dialekt, Region oder Religion verspüren. Lokalit?t bekommt in diesem weltweiten Internet an verschiedensten Stellen eine identit?tsstiftende Funktion. Damit wird eine Gleichzeitigkeit von Lokalit?t und Globalisierung erzielt. Das st?rkt interessanterweise auch die Regionalisierung. Zusammengefasst wird Glokalisierung neue Akzente im Verh?ltnis von Lokalit?t und Globalit?t setzen k?nnen.
Mit Blick auf diese Ausführungen zu einem offenen Regierungs- und Verwaltungshandeln, zu offenen Daten und der anstehenden Digitalisierung sind in den kommenden Jahren noch viele Ver?nderungen zu erwarten. Diese werden nicht nur neue Medien hervorbringen, sondern auch die klassischen Medien unter einen sehr starken Ver?nderungsdruck setzen. Schlie?lich darf nicht vergessen werden, dass auf den technologische Fortschritt bezogen die Menschheit weiterhin erst ganz am Anfang einer Entwicklung steht, die in den n?chsten 100, 200 und 500 Jahren noch viele unvorhersehbare Neuerungen mit sich bringen wird. Mit der ?ffnung von Daten, Informationen, Wissen und Ressourcen werden Wirtschaft, Staat und Gesellschaft erfolgreicher und innovativer. Nutzen wir also dieses Potenzial im positiven Sinne!
Weiterführende Literatur
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