Fallbeispiel

Im Gründungsf?rderungssystem fehlt eine Kultur des Scheiterns?

Die Aufstellung wurde am 06. Juni 2017 im Rahmen der Masterarbeit von Nadine Husenbeth an der Universit?t Bremen mit Studierenden und Doktoranden durchgeführt. Aufstellungsleiter war Georg Müller-Christ. Dokumentiert und zusammengefasst wurde die Aufstellung von Nadine Husenbeth.

Erkenntnisinteresse der Aufstellung

Unternehmensgründungen bilden die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum. Dabei ver?ndern neue Gesch?ftsmodelle nicht nur nachhaltig die Wirtschaftsstruktur, sondern haben zudem einen positiven Einfluss auf die Besch?ftigungszahlen sowie die Wettbewerbs- und Innovationsf?higkeit. Gründungen von innovativen Wachstumsunternehmen werden dabei als Startups bezeichnet.

Im Rahmen der Masterarbeit bestand das Interesse der Anliegengeberin darin, das Bremer Gründungsf?rderungssystem und dessen Dynamiken zu erkunden. Insbesondere lag der Fokus darauf herauszufinden, welche Hebel das Bremer Gründungsf?rderungssystem erfolgreicher machen k?nnten. In seiner Selbstbeschreibung m?chte das Gründungsf?rderungssystem eine vitale Startup-Szene entstehen lassen.

Das System lesen

Als relevante Elemente für die Beantwortung der Fragestellung sind die Gründer/innen, die ?ffentlichen Gründungsf?rderungsakteure Bremens sowie die privaten Gründungsf?rderungsakteuren Bremens und die attraktive und vitale Startup-Szene als Erfolgsbegriff des Bremer Gründungsf?rderungssystems, durch die Anliegengeberin nach verschiedenen Experteninterviews ausgew?hlt worden.

Als Grundspannung des Bremer Gründungsf?rderungssystems wurde die Polarit?t von Beraten versus Erm?glichen festgelegt. F?rdern im Sinne von Beraten ist ergebnissicher und ergebnisorientiert (die Berater/innen kennen den richtigen Weg in die gewünschte Richtung); F?rdern im Sinne von Erm?glichen ist das gemeinsame Erkunden eines Weges, dessen Ziel sich erst im Verlaufe des Gehens zeigt. Erm?glichen ist ergebnisoffen und m?glichkeitsorientiert. Beide F?rderarten liegen in einer konstruktiven Spannung zueinander.

Doppelt verdeckt, haben sich die Stellvertreter/innen einen Platz in diesem Spannungsraum von Beraten und Erm?glichen gesucht, bevor nacheinander drei m?gliche Hebel getestet worden sind, die sich ebenfalls aus Experteninterviews ergeben haben: (Phase 1) bessere Vernetzung aller beteiligten Akteure; (2) bessere Gründungsvoraussetzungen; (3) eine Kultur des Scheiterns.

Dabei stand die Frage im Vordergrund, welcher Hebel bewegt eher das Gesamtsystem hin zu einer attraktiven und vitalen Startup-Szene?

Kurze Erl?uterung zur Beobachtung von m?glichen Interventionen im System
(Simulationsphase):

Systemaufstellungen lassen sich wunderbar als Simulationsmethode einsetzen. Ein Element, welches als Intervention in das System gedacht ist (im Falle dieser Aufstellung die Hebel), betritt eine bestehende Konstellation, wandert durch das System und sucht sich einen stimmigen Platz. Alle Elemente nehmen in dieser Simulationsphase die Ver?nderungen wahr, die das neue Element bewirkt und k?nnen ihre Position (au?er der Pole) ver?ndern und ihre Wahrnehmungen ausdrücken. Die simulierte Wirkung zeigt sich in der r?umlichen Bewegung der Konstellation und ?u?ert sich in den Mitteilungen der Stellvertreter/innen über die wahrgenommenen Unterschiede.

 

Elemente

Gründer/innen: Sie bewegen sich im Gründungsf?rderungssystem mit der Intuition, die eigene Gesch?ftsidee zu verwirklichen. Ihnen werden verschiedene Gründungsf?rderungsma?nahmen durch die anderen Akteure angeboten.

Attraktive und vitale Startup-Szene: Soll durch die Akteure geschaffen werden, es gibt eine effiziente Verzahnung von Politik, Bildung, Infrastruktur, Wissens- und Technologietransfer zwischen Forschung und Wirtschaft sowie Beratungsangebot.

?ffentliche Gründungsf?rderungsakteure: All diejenigen Akteure, die als eine ?ffentliche Institution mit ?ffentlichen Mitteln die Startup-Szene Bremens f?rdern.

Private Gründungsf?rderungsakteure: All diejenigen Akteure, die als private Person oder als privates Unternehmen ein Interesse an der Startup-Szene Bremen haben und diese mit privaten Mitteln f?rdern.

Hebel 1: bessere Vernetzung: Eine bessere Vernetzung von ?ffentlichen und privaten Gründungsf?rderungsakteuren sowie den Gründenden, damit die Gründer/innen an die ben?tigten Ressourcen gelangen. Neben dem privaten Netzwerk, bestehend aus Freunden und Familie, sollen die Gründer/innen so ein unternehmerisches Netzwerk aufbauen k?nnen.

Hebel 2: Gründungsvoraussetzungen: Noch 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 und effektivere Beratung und F?rderung sollen die Rahmenbedingungen für Gründungen positiv beeinflussen.

Hebel 3: Kultur des Scheiterns: Umfasst den Umgang mit Fehlschl?gen und Misserfolgen bei der Gründung von Startups. Mehrmaliges Scheitern auf dem Weg zu einem erfolgreichen Unternehmen wird als notwendiges Lernen akzeptiert.

Erm?glichen: Ergebnisoffen und m?glichkeitsorientiert f?rdern wollen.

Beraten: Ergebnissicher und ergebnisorientiert f?rdern wollen.

Ablauf der Aufstellung

Phase 1: Das grundlegende Systembild

Zun?chst haben sich die Repr?sentanten/innen für die Gründer/innen, für die ?ffentlichen und privaten Akteure des Bremer Gründungsf?rderungssystems sowie dessen Erfolgsgr??e, d.h. die attraktive und vitale Startup-Szene Bremens einen Platz im Spannungsraum gesucht. Das Ausgangsbild ist auf die Zugeh?rigkeit zum System, die Platzwahl und die Beziehungen untereinander befragt worden. Die Stellvertreter/innen bewerteten die Platzwahl auf einer Skala von 1–10 zwischen 7 und 10 Punkten. Durch den Pol Erm?glichen wird das System als sehr lebhaft beschrieben, was bei den anderen Akteuren auf Zustimmung trifft. Die ?ffentlichen Gründungsf?rderungsakteure werden als am Rande des Systems stehend wahrgenommen, wohingegen den privaten Gründungsf?rderungsakteuren gro?es Energiepotential attestiert wird. Sich selbst als reagierend beschreibend, wird es als agierend vom Gesamtsystem wahrgenommen. Für die Anliegengeberin ergab sich ein sehr stimmiges Bild, welches in der Abbildung 1 dargestellt ist.

Aufstellung Abbildung 1
Abb. 1: Das Feld des bestehenden Gründungssystems

Phase 2 und 3: Bessere Vernetzung und bessere Gründungsvoraussetzungen

Auf die Hereinnahme des Hebels 1: bessere Vernetzung der Akteure und des Hebels 2: die besseren Gründungsvoraussetzungen entstanden wenige Reaktionen im Ausgangsbild. Der Stellvertreterin des Hebels 1: bessere Vernetzung beschreibt, dass sie keine Verbundenheit mit dem System spüre und sich unsicher fühle. Auch die Stellvertreterin des Hebels 2: bessere Gründungsvoraussetzungen empfindet sich als ungeliebt und wei? nicht, ob eine Zugeh?rigkeit zum System besteht. Beide haben den Pol Erm?glichen im Blick. Insgesamt zeigt sich viel Unwohlsein im System mit den beiden Hebeln und so gut wie keine Ver?nderung des Ausgangsbildes. Die beiden Hebel haben in dieser Simulation keine direkte Wirkung auf das System.

 

Aufstellung Abbildung 2
Abb. 2: Die Wirkung von Hebel 1 und Hebel 2 auf das System

Die Beteiligten haben folgende erkenntnisleitende Thesen formuliert:

These: Die beiden Hebel der besseren Vernetzung und der Gründungsvoraussetzungen scheinen etwas von der Qualit?t des Erm?glichens in sich zu tragen. Das System reagiert aber sehr langsam bis gar nicht auf diese neue Kultur des Erm?glichens. Es braucht viel Zeit, bis sich das System auf diese Transformation einl?sst.

Phase 4: Kultur des Scheiterns

Nachdem sich Hebel 3: Kultur des Scheiterns im Ausgangsbild einen Platz gesucht hat, reagieren die anderen Elemente und suchen sich einen neuen Platz. Die Kultur des Scheiterns fühlt sich im System wohl und beschreibt sich selbst als ein Element, welches sich an die Gründenden h?ngt, um über diese auf das System zu wirken. Ebenso beschreibt sich die Kultur des Scheiterns als lernf?hig, da sie sich durch die Aussagen der anderen Elemente und der zuvor getesteten Hebel in seiner Wahrnehmung und Handlung beeinflusst fühlt.

Die Pole Beraten und Erm?glichen empfinden das System durch die Kultur des Scheiterns als deutlich vitaler und kr?ftiger. Auch die Gründer/innen, die ?ffentlichen Gründungsf?rderungsakteure sowie die privaten Gründungsf?derungsakteure spüren positive Wirkungen für das gesamte Gründungsf?rderungssystem.

Die attraktive und vitale Startup-Szene fühlt sich nicht wohl, da sie nicht den idealen Platz zwischen den privaten und ?ffentlichen Gründungsf?rderungsakteuren w?hlen konnte und befürchtet zwischen diesen beiden Akteuren nicht überlebensf?hig zu sein.

Der Pol Erm?glichen und die ?ffentlichen Gründungsf?rderungsakteure empfinden, dass die Kultur des Scheiterns die Gründer/innen st?rkt.

Das gesamte System der Bremer Gründungsf?rderung hat durch eine Kultur des Scheiterns eine Bewegung auf den Pol des Erm?glichens hin gemacht und wirkt insgesamt stimmiger aufgestellt, weil es nicht 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 so polarisiert ist. Die Elemente stehen mit 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 Beziehung n?her zu einander (vgl. Abb. 3).

Aufstellung Abbildung 3
Abb. 3: Die Kultur des Scheiterns bewegt das Gründungsf?rderungssystem

Interpretationsangebot der Aufstellung:

Gründungssysteme werden in der Regel als sich schnell entwickelnde und ver?ndernde Systeme beschrieben und auch das Bremer Gründungsf?rderungssystem hat sich in den letzten Jahren ver澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育t entwickelt, weshalb die Beschreibung der Pole als sehr stimmig wahrgenommen wird.

Dabei haben die ?ffentlichen Gründungsf?rderungsakteure keinen direkten Bezug zu den anderen Akteuren. Gleichzeitig bedingt die origin?re Aufgabe der Wirtschaftsf?rderung das Handeln der ?ffentlichen Gründungsf?rderungsakteure. Als stabilisierend für das System wirken hingegen die privaten Gründungsf?rderungsakteure, die ein auf das Eigeninteresse ausgerichtete Handeln haben.

Insgesamt lassen die Aussagen der Stellvertreter/innen der beteiligten Akteure darauf schlie?en, dass weder bessere Gründungsvoraussetzungen noch eine bessere Vernetzung der Akteure schnelle Reaktionen in Richtung einer attraktiven und vitalen Startup-Szene erzeugen. Beide getesteten Ansatzpunkte für eine attraktive und vitale Startup-Szene haben keine direkte Verbindung zum System gezeigt.

Muss sich das Bremer Gründungsf?rderungssystem mit der Kultur des Scheiterns auseinandersetzen, werden Auswirkungen auf das Gesamtgefüge des Bremer Gründungsf?rderungssystems wahrgenommen. Insgesamt werden zur Beschreibung dieser Auswirkungen Begrifflichkeiten genutzt, die durch die Anliegengeberin genutzt worden sind, wobei die Durchführung doppelt verdeckt erfolgte, sodass die Stellvertreter/innen nicht wissen konnten, wo der thematische Schwerpunkt der Systemaufstellung lag.

Interessanterweise wird die attraktive und vitale Startup-Szene Bremen als ein künstlich geformter Begriff durch die Akteure wahrgenommen, hinter der ein durch die ?ffentlichen und privaten Akteure geformtes Verst?ndnis steht. Dass die attraktive und vitale Startup-Szene Bremen nicht den idealen Platz zwischen den ?ffentlichen und privaten Gründungsf?rderungsakteuren einnehmen kann, l?sst die Schlussfolgerung zu, dass sich durch die Kultur des Scheiterns das Verst?ndnis einer attraktiven und vitalen Startup-Szene insofern ?ndert, als das Fehlschl?ge als M?glichkeit des Lernens und der Weiterentwicklung verstanden werden. Auch die M?glichkeit, im Falle eines Scheiterns sich selbst als unzul?nglich zu empfinden, wird den Gründenden genommen, wodurch sie eine St?rkung im System empfangen.

Die Beteiligten haben folgende erkenntnisleitende Thesen formuliert:

Ein ausschlie?lich auf Gründungserfolg fokussiertes Gründungsf?rderungssystem entwickelt sich zu einem r?umlich starren System mit viel Abstand der Akteure zu einander. In einer komplexen Welt, in der Scheitern von Gründungsprozessen h?ufiger vorkommt als das Gelingen, braucht es eine Kultur des Scheiterns, die Scheitern als wichtige Phasen des Lernens der Gründer/innen akzeptiert und f?rdert. Im Scheitern kann sich die Kompetenz und die Intuition der Gründer/innen entwickeln, in komplexen Situationen angemessen zu handeln.

Weitere und andere Interpretationen sind m?glich und wünschenswert.

Die Masterarbeit ?Eine systemische Analyse des Bremer Gründungsf?rderungssystem – System Mapping und Systemaufstellungen im Vergleich“ von Nadine Husenbeth kann unter Publikationen in der E-Schriftenreihe als PDF eingesehen werden.

Aktualisiert von: Redaktion