Auf einen Espresso mit...Sülmez Dogan

Sülmez Dogan ist seit 2015 Vizepr?sidentin der Bremischen Bürgerschaft und Abgeordnete der Grünen. Sie hat von 1995 bis 2000 Rechtswissenschaft an der Universit?t Bremen studiert. Von 2007 bis 2020 war sie als Rechtsanw?ltin in Bremerhaven t?tig.

Warum haben Sie sich für die Universit?t Bremen entschieden?

Ich bin in Bremerhaven geboren und aufgewachsen und eigentlich hat mir diese Stadt das Studium erm?glicht. Denn es gibt in Bremerhaven viele Menschen, die mich unterstützt haben, und ohne die w?re ich jetzt nicht da, wo ich heute bin. Ich bin die erste in unserer gro?en Familie, die Abitur gemacht hat. Als es um das Studium ging, habe ich mir dann gedacht, dass ich dieser Stadt und diesem Bundesland etwas zurückgeben m?chte, und deshalb habe ich mich ganz bewusst für die Universit?t Bremen entschieden.

Was waren Ihre pr?gendsten Erfahrungen an der Uni?

Bei meiner ersten Jura-Vorlesung in der ?Keksdose“ habe ich erstmal richtig Angst bekommen. Es waren so viele Studierende da, der Professor wurde sofort inhaltlich, und ich dachte, Du verstehst jetzt gar nichts. Das war eine ganz andere Situation als an der Schule, wo man Zugang zu den Lehrer:innen hatte und mit denen Dinge besprechen konnte. An die Uni kam ich als Arbeiterkind und hatte ja niemand, mit dem ich über Studieninhalte sprechen konnte. Mein Vater war einfacher Arbeiter und meine Mutter ist leider bis heute Analphabetin. Von daher war ich sehr froh, dass ich dann doch ganz schnell Zugang zu meinen Professor:innen gefunden habe, die mich an die Hand genommen haben, mir Wege aufgezeigt haben und mich sehr best?rkt haben, dass ich das Studium hinkriegen werde. Das hat mich richtig begeistert und von meinen Freundinnen wusste ich, dass dies an anderen Universit?ten nicht so der Fall war.

Das Studium haben Sie ja dann auch gut abgeschlossen und sind eine erfolgreiche Anw?ltin in Bremerhaven geworden…

Im Studium hatte ich mich sehr für Zivilrecht interessiert, mit dem Schwerpunkt Verbraucherschutz und Haftungsrecht. Aber als ich meine Kanzlei er?ffnet habe, ist es ganz anders gekommen. Ich war in Bremerhaven die erste Anw?ltin, die Arabisch und Türkisch sprach, und dann sind sehr, sehr viele Frauen zu mir gekommen, die negative Erfahrungen gemacht haben und Hilfe ben?tigten. Einerseits Migrantinnen, die froh waren, dass es bei mir keine Sprachbarriere gab. Andrerseits aber auch viele deutsche Frauen, die wussten, dass ich in einem der ?rmsten Stadtteile gro? geworden bin, und die dachten: die wird uns schon helfen. Es ging also viel um Aufenthaltsrecht, aber auch Familiensachen, Scheidungen, elterliches Sorgerecht, und leider gab es auch viele Gewalterfahrungen von diesen Frauen, die ich strafrechtlich begleitet habe.

Was war von Ihrem Studium für den sp?teren Beruf besonders wichtig?

An der Universit?t Bremen hat mir besonders gefallen, dass im Studium nicht nur gutes Fachwissen vermittelt wurde, sondern auch eine Haltung, dass man sich für die Gesellschaft einsetzen soll. Alle, die nach ihrem Studium nicht in Bremen geblieben sind, tragen dies gewisserma?en als Botschafter:innen in die ganze Welt. Bei mir war es so, dass ich mit dieser guten Ausbildung inzwischen so vielen Frauen helfen konnte, dass sie ein anderes Leben führen konnten. Und in Bremerhaven bin ich sicherlich für viele junge M?dchen auch ein Vorbild geworden, nicht gleich zu heiraten, sondern einen Beruf zu erlernen und selbstbestimmt zu leben. Für all das bin ich der Uni Bremen richtig dankbar.

Was würden Sie den Studierenden heute mit auf den Weg geben?

Dass sie in ihrem Studium sehr viel Praxiserfahrung sammeln sollen. Mir hat das damals etwas gefehlt, aber das war auch bei anderen Studierenden so. Für Praxiserfahrung ist auch ehrenamtliches Engagement hilfreich. Ich habe z.B. schon junge Lehramtsw?rter:innen getroffen, die eine hervorragende Ausbildung hatten, aber noch nie ein Umfeld erlebt hatten, das von Armut betroffen war. Für die w?ren entsprechende Praktika vor ihrem Berufseintritt sehr wertvoll.

50 Jahre Universit?t Bremen – was verbinden Sie damit?

Sehr, sehr viele neue Lebenschancen, die sich für mich und andere durch das Studium neu er?ffnet haben. Das geht im Alltag des Universit?tslebens vielleicht manchmal unter. Aber dafür bin ich der Universit?t Bremen richtig dankbar. Chapeau – Hut ab!