Sommersemester 2017
Lorenz K?hler, Universit?t Bremen
Abstract
Richterliche Entscheidungen sind gebundene Entscheidungen. Gerichte haben das Recht umzusetzen und nicht darüber zu befinden, was sie selbst für sinnvoll halten. ?ber jedem Urteil steht daher, dass das Gericht für Recht erkannt hat. Das Recht ist somit zumindest auf den ersten Blick nichts, was einem Kompromiss zug?nglich w?re. Entweder eine Entscheidung entspricht dem Recht oder sie widerspricht ihm. Man kann das Recht aber kaum dadurch feststellen, dass man wie in sonstigen Gremien nach einem Kompromiss sucht. Daher ist von besonderem Interesse, wie Meinungsunterschiede zwischen Richtern entschieden werden. Agieren sie anders als sonstige Entscheidende? Das Recht enth?lt zwar einige Abstimmungsregeln, gibt aber nicht unmittelbar vor, inwieweit Mechanismen kollektiver Entscheidungen auch den Inhalt des Rechts pr?gen und pr?gen sollten. Genau dies bedarf n?herer Analyse
Gerd Gigerenzer, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Abstract
Whom to marry? How to invest? Whom to trust? Complex problems require complex solutions – so we might think. And if the solution doesn’t work, we make it more complex. That recipe is perfect for a world of known risks, but not for an uncertain world, as the failure of the complex forecasting methods leading to the 2008 financial crisis illustrates. In order to reduce estimation error, good inferences under uncertainty counter-intuitively require ignoring part of the available information. Less can be more. Yet although we face high degrees of uncertainty on a daily basis, most of economics and cognitive science deals exclusively with lotteries and similar situations in which all risks are perfectly known or can be easily estimated. In this talk, I invite you to explore the land of uncertainty, where mathematical probability is of limited value and people rely instead on simple heuristics, that is, on rules of thumb. We meet Homo heuristicus, who has been disparaged by many psychologists as irrational for ignoring information—unlike the more diligent Homo economicus. In an uncertain world, however, simple heuristics can be a smart tool and lead to even better decisions than with what are considered rational strategies. The study of heuristics has three goals. The first is descriptive: to analyze the heuristics in the “adaptive toolbox” of an individual or an institution. The second goal is normative: to identify the ecological rationality of a given heuristic, that is, the structures of environments in which it succeeds and fails. The third goal is engineering: to design intuitive heuristics such as fast-and-frugal trees that help physicians make better decisions.
Tanja Pritzlaff-Scheele, Universit?t Bremen
Abstract
Kollektiv verbindliches Entscheiden ist die zentrale Praktik politischen Handelns. Diese herausgehobene Bedeutung des Entscheidens wird auch in zahlreichen politikwissenschaftlichen Definitionen des Politikbegriffs betont. Umso überraschender ist es, dass sich die Politikwissenschaft nur wenig mit der Frage auseinandersetzt, welche Prozesse genau ablaufen, wenn politisch entschieden wird.
Zudem ist in der Politikwissenschaft h?ufig eine Verkürzung des Entscheidungsbegriffs zu beobachten: Politisches Entscheiden vollzieht sich in der Regel nicht als individuelles Entscheiden, sondern als Entscheiden in Gruppen. Eine Entscheidung in einer Gruppe beruht auf wesentlich anderen Voraussetzungen und beinhaltet andere Abl?ufe als individuelles Entscheiden. Trotzdem wird h?ufig mit Aussagen wie ?das Kabinett hat entschieden“ oder ?das Gremium hat entschieden“ die Bedeutung dieser Unterschiede vernachl?ssigt.
Ziel des Vortrags ist es, unter Rückgriff auf Daten aus Laborexperimenten zu kollektivem Entscheiden und aus der videogestützten Analyse politischer Gremien die Spezifika aufzuzeigen, die kollektives Entscheiden von individuellem Entscheiden unterscheiden – sowie die Besonderheiten politischen Entscheidens. Aus diesen Besonderheiten ergeben sich Rückwirkungen auf das Verst?ndnis des Entscheidungsbegriffs in der Politikwissenschaft.
Stefan Traub, Helmut Schmidt Universit?t Hamburg
Abstract
In einflussreichen Artikeln hat Hans-Werner Sinn den Wohlfahrtsstaat als eine Versicherung charakterisiert, die es der Gesellschaft erm?glicht, die Varianz der Lebenszeiteinkommen durch umverteilende Besteuerung zu verringern. Entgegen der zuvor herrschenden Lehrbuchmeinung, dass staatliche Interventionen in das Marktgeschehen negative Verhaltensreaktionen ausl?sen, die zu gesamtwirtschaftlichen Nachteilen führen, liefert die Theorie des Wohlfahrtsstaates theoretische Argumente dafür, dass der Wohlfahrtsstaat die Durchschnittseinkommen erh?ht. Paradoxerweise kann umverteilende Besteuerung sogar sowohl zu h?heren Einkommen und als auch zu 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 (!) Ungleichheit führen. In diesem Vortrag werden die entscheidungstheoretischen Wirkungskan?le, die zu diesem überraschenden Resultat führen, erl?utert und es werden die Ergebnisse eines ?konomischen Laborexperiments pr?sentiert, die Sinn's theoretische Vorhersagen allerdings nur teilweise best?tigen.
Andreas Kreiter, Universit?t Bremen
Abstract
Die Sinnesorgane versorgen das Gehirn mit einem st?ndigen Strom von Signalen aus unserer Umgebung. Dabei übersteigt die Menge der darin enthaltenen Informationen bei Weitem die Verarbeitungskapazit?ten des Gehirns, wobei nur Bruchteile dieses Signalstroms im aktuellen Verhaltenskontext entscheidungsrelevant sind. Diese Signale müssen von den Irrelevanten getrennt und für die Verhaltenssteuerung selektiv weiterverarbeitet werden. Subjektiv erleben wir diesen Auswahlprozess als selektive Aufmerksamkeit, z.B. für eine einzelne Anzeige in einem Schaltpult.
Zu dieser Notwendigkeit, aus einem ?berangebot von au?en kommender Sinnessignale auszuw?hlen, tritt ein ?hnliches Auswahlproblem innerhalb des Gehirns. Aufgrund der hohen Konvergenz und Divergenz neuronaler Verbindungen im Gehirn erhalten Nervenzellen zur gleichen Zeit Signale von tausenden anderer Nervenzellen, die sich auf ganz unterschiedliche Inhalte beziehen k?nnen. Auch hier muss ein hochflexibler, aufmerksamkeitsabh?ngiger Selektionsprozess stattfinden, der innerhalb von Sekundenbruchteilen unter den verschiedenen eingehenden Signalen das zu Verwendende ausw?hlt.
Eine befriedigende Erkl?rung dieser und ?hnlicher Leistungen des Gehirns gelingt nicht auf Basis herk?mmlicher, v.a. auf der anatomischen Verschaltung beruhender Konzepte. In diesem Vortrag werde ich darstellen, wie sich aus Konzepten zur Dynamik neuronaler Signalinteraktionen ein neues Bild der Funktionsweise des Gehirns ergibt. In diesem wird der effektive Signalaustausch zwischen Nervenzellen und damit der effektiv wirksame Schaltplan des Gehirns und seine Funktionsweise in Sekundenbruchteilen an die gerade aktuellen Anforderungen an die Informationsverarbeitung angepasst
Manfred Herrmann, Universit?t Bremen
Abstract
Aus neuro- und kognitionswissenschaftlicher Sicht ist die Entscheidungsfindung in ambivalenten oder konfliktbehafteten Situationen eine der anspruchsvollsten (exekutiven) Kontrollfunktionen des menschlichen Verhaltens, dessen zugrundeliegende neuronalen Strukturen sich aus evolutionsbiologischer Perspektive onto- und phylogenetisch erst sehr sp?t entwickeln bzw. entwickelt haben. Ziel der neurokognitionswissenschaftlichen Forschung ist es, aus der r?umlichen und zeitlichen Analyse von Aktivit?tsmustern neuronaler Strukturen Hinweise für Handlungsalgorithmen menschlicher Entscheidungsfindung zu gewinnen. Dazu werden Probanden in experimentellen Untersuchungen mit Situationen konfrontiert, die entweder nicht eindeutig sind bzw. zu wenige Informationen für eine sichere Entscheidung bieten, oder mit Situationen bzw. Stimuli, in welchen der Impuls zu falschen Entscheidungen aktiv inhibiert oder gehemmt werden muss. W?hrend dieser Entscheidungssituationen wird die Aktivit?t des menschlichen Gehirns entweder r?umlich (funktionelle Magnetresonanztomografie; fMRT) oder zeitlich (Elektroenzephalografie; EEG) hochaufgel?st gemessen.
Ziel des Vortrags soll es sein, in das fachspezifische Erkenntnisinteresse und die zugrundeliegende experimentelle Methodik einzuführen.
Dagmar Borchers, Universit?t Bremen
Abstract
In der Tierethik gibt es aktuell eine Diskussion darüber, ob und inwiefern Tiere als moralische Akteure zu betrachten sind, ob man sagen kann, dass sie moralische Entscheidungen treffen. Viele Philosophinnen und Philosophen lehnen dies ab, da sie Tieren kein Selbstbewusstsein zubilligen und mithin der Meinung sind, dass Tiere keine moralischen Entscheidungen treffen k?nnen. Dieser Ansicht zufolge k?nnen Tiere moralische Objekte sein, aber keine moralische Subjekte. Andere wiederum verweisen auf neueste Ergebnisse der Tierverhaltensforschung und meinen durchaus sagen zu k?nnen, dass Tiere moralische Entscheidungen treffen. Ich m?chte diese Kontroverse vorstellen, um anhand der in diesem Kontext vorgetragenen Argumente und ?berlegungen zu untersuchen, welcher Entscheidungsbegriff den verschiedenen Positionen zugrunde liegt und was wir für die Frage nach universellen Eigenschaften des Entscheidens hier m?glicherweise an begrifflichen, aber auch inhaltlichen Einsichten gewinnen k?nnen.