Festvortrag
Prof. Dr. Sonia Livingstone
London School of Economics and Political Science, London
Die Zukunft der Rechte von Kindern im digitalen Zeitalter
Im Laufe meiner Karriere habe ich etwa 20 Jahre damit zugebracht, die Bedeutung, Nutzung und Konsequenzen des Umgangs von Kindern mit den sich stetig wandelnden ?Neuen Medien‘ zu untersuchen. Ich habe – haupts?chlich in Europa – Zeit in Kinderzimmern verbracht, mich mit Familien in deren Wohnzimmern unterhalten, den Einsatz von Technologien in Klassenzimmern beobachtet, die neuesten Trends der sozialen Medien mitgemacht und weltweit Kinder und Eltern befragt.
Daraufhin habe ich die Ergebnisse genutzt, um Politikerinnen und Politiker sowie Interessenvertreterinnen und -vertreter zu beraten – stets in der Hoffnung, die M?glichkeiten für Kinder online zu maximieren, aber die Risiken zu minimieren. Dabei bin ich auf die faszinierendsten R?tsel und Probleme gesto?en, vielleicht sogar auf Paradoxien.
Je gr??er die Nutzungsm?glichkeiten, desto h?her das Schadensrisiko
Viele der verfügbaren Forschungsergebnisse k?nnen nach dem Prinzip ?je 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育, desto 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育‘ zusammengefasst werden. Je 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 Zeit Kinder online verbringen, desto 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 Aktivit?ten gehen sie dort nach, desto 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 entwickeln sie Medienkompetenzen, desto 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 Online-M?glichkeiten k?nnen sie auskosten – und desto gr??er ist auch das Schadensrisiko, dem sie sich aussetzen.
Wie die Arbeit des EU Kids Online-Netzwerks zeigt, haben die Risiken und Chancen eine positive Korrelation. Das bedeutet, dass die Bemühungen, die Sicherheit von Kindern im Internet zu gew?hrleisten, gleichzeitig ihre Freiheiten einschr?nken. Auf der anderen Seite entstehen durch die F?rderung ihrer Freiheiten – das Internet zu erkunden, neue Freundschaften zu schlie?en und sich in gr??eren Netzwerken zu engagieren – 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 Risiken.
Vor einigen Jahren lud mich UNICEF – eine Kinderrechtsorganisation, die in 190 L?ndern weltweit aktiv ist – ein, ihnen bei der steigenden Nachfrage ihrer Landesbüros nach Untersuchungen bezüglich des Internetgebrauchs und der damit verbundenen Probleme für Kinder auch au?erhalb der Grenzen Europas zu helfen. Welche Untersuchungen sollten sie durchführen? Wie k?nnten diese ihre Agenda in Bezug auf Kinderrechte weltweit vorantreiben?
Die UN-Kinderrechtskonvention
Meine Arbeit mit UNICEF hat mich auf die UNKinderrechtskonvention aufmerksam gemacht, die offiziell durch UNICEF überwacht wird. Es handelt sich hierbei um einen leicht verst?ndlichen Text, der von allen Staaten der UN – mit Ausnahme der USA – unterzeichnet wurde.
Es ist ein überraschender Text. Anne Holzscheiter verweist auf die transformative Kraft des Diskurses, um den au?ergew?hnlichen und unerwarteten Enthusiasmus zu erkl?ren, mit dem die Kinderrechtskonvention aufgenommen wurde, die doch ursprünglich als eine schlichte Erg?nzung zu den bereits etablierten Menschenrechten gedacht war. Der zentrale Richtungswechsel der Debatten – welche über ein Jahrzehnt l?nger anhielten als erwartet – ging von Kindern als passiven und stummen Subjekten, die besonderen Schutz bedürfen, über zu Kindern als eigenst?ndigen Inhabern von Rechten inklusive Mitbestimmungs- und Mitspracherecht.
Meine Arbeit im Rahmen der Kinderrechtskonvention hat es mir als Medien- und Kommunikationsforscherin erm?glicht, altbekannte Fragen auf eine neue Art und Weise zu stellen.
1. Anstelle von auf die Technik abzielenden Fragestellungen (Was für einen Einfluss hat das Internet auf … ?) k?nnen wir eine kontextbezogenere Frage stellen: Was bewirkt die digitale Welt in Bezug auf das Lernen, Spielen und die Entwicklung von Kindern? So entziehen wir uns den Beschr?nkungen der Medienwirkungsforschung, moralischer Panik und dem Medienzentrismus.
2. Wenn wir uns an das Paradox zurückerinnern, dass Risiken und M?glichkeiten Hand in Hand gehen, bedeutet dies, dass die Untersuchungen von Kinderrechten im digitalen Zeitalter mit zwei allumfassenden Fragen beginnen k?nnten:
- Wann und wie tr?gt die Internetnutzung durch das Er?ffnen von M?glichkeiten, die den Entwicklungs- und Lebenschancen der Kinder zugutekommen, positiv zu ihrem Wohlbefinden bei?
- Wann und wie ist die Internetnutzung im Leben eines Kindes durch eine Erh?hung des Schadensrisikos, die das Wohl des Kindes vermindern kann, problematisch
Drei zentrale Punkte stehen meist im Zentrum der Zusammenfassung der Kinderrechtskonvention:
- Rechte auf Schutz beziehen sich auf die Vielzahl von Bedrohungen der Würde, des ?berlebens und der Entwicklung von Kindern.
- Rechte auf Versorgung beziehen sich auf alle n?tigen Ressourcen zum ?berleben und zur Entfaltung des Kindes.
- Rechte auf Beteiligung erm?glichen es den Kindern, sich an Prozessen, die für ihre Entwicklung relevant sind, zu beteiligen und eine aktive Rolle in der Gesellschaft einzunehme
3. Die Aufgabe der Untersuchung besteht dann darin, die spezifischen Sch?den zu untersuchen, vor denen Kinder geschützt werden müssen, solche kontextuellen Bedingungen, die N?te von Kindern hervorrufen, zu analysieren (um die Bereitstellung von Ressourcen zu lenken) und ihre Handlungschancen sowie die Konsequenzen von Partizipation zu erforschen.
Schutz
Bezüglich der Kinderrechte auf Schutz in der digitalen Welt k?nnen wir an Untersuchungen zu folgenden Aspekten anknüpfen:
- Sexuelle Bel?stigung und Ausbeutung von Kindern.
- Die Erstellung und Verbreitung von Kindesmissbrauchsfotos.
- Die Verfügbarkeit von (vielf?ltiger, extremer) Pornografie.
- Neue Bedrohungen der Privatsph?re, der Identit?t und des Rufs.
- Ausbeutung, Missbrauch und Nachverfolgung pers?nlicher Daten.
- Feindselige, hasserfüllte und tyrannisierende Inhalte und Umgangsformen miteinander
- ?berredungsversuche zu selbstverletzendem Verhalten, Selbstmord, Bulimie oder Drogen
Nicht nur sind sich Kinder selbst dieser Risiken bewusst – sie werden auch immer ?fter von Untersuchungen, Strafverfolgungen und klinischen Erfahrungen untermauert.
Es ist jedoch zu beachten, dass in einem Gro?teil der Untersuchungen der Fokus auf den Risikenund nicht auf den tats?chlichen Sch?digungen liegt – beispielsweise wird der Fokus darauf gerichtet, dass Kinder Pornografie ausgesetzt sind, und nicht auf die Sch?den, die daraus resultieren k?nnten. Das bedeutet, dass die meisten Forschungen haupts?chlich das Risiko eines Risikos untersuchen (z. B. die Wahrscheinlichkeit, Pornografie zu sehen) und nicht das Risiko des eigentlichen Schadens (u. a. auch, weil die Erforschung negativer Folgen von Pornografie schwierig ist).
Es regt zum Nachdenken an, dass sich die Sch?den seit den 20 Jahren, in denen amerikanische und europ?ische Kinder Zugang zum Internet haben insgesamt reduziert und nicht ver澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育t haben. Solche Statistiken führen dazu, dass internationale Experten behaupten, dass Kinder aufgrund des Internets insgesamt gesehen keines intensiveren Schutzes bedürfen. Stattdessen sei das Internet einer von vielen Orten geworden, an denen Missbrauch existiert – was wiederum neue Herausforderungen für den Kinderschutz bedeutet.
Im Gegensatz dazu hat Barnardo’s, eine gro?e britische Wohlfahrtseinrichtung, kürzlich einen Bericht ver?ffentlicht, aus dem hervorgeht, dass das Internet Missbrauch und sexuelle Ausbeutung ver?ndert habe – gerade aufgrund seiner Affordanz: Es vereinfacht den Kontakt zwischen Kindern und Fremden, normalisiert sexualisierte Gewalt, und die Anonymit?t verleiht ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Diese Ver?nderung, die viele intuitiv für richtig halten, führt zu Problemen hinsichtlich eines rechtlichen Rahmens. Deswegen wird beispielsweise über neue digitale Rechte diskutiert und auch darüber, ob die Kinderrechtskonventionen nicht überarbeitet werden sollten.
Zweifelsohne überdenken einige Forscherinnen und Forscher zu digitalen Medien derzeit die wichtigsten Aspekte (nicht nur Missbrauch, sondern auch Privatsph?re, Identit?t, freie Meinungs?u?erung und Bildung) der Menschenrechte in einem digitalen Zeitalter. Auch wenn wir argumentieren, dass sich lediglich die Vermittlung der Rechte ?ndert, wird deutlich, dass sich diese Tatsache auch auf die entsprechenden Aspekte selbst auswirkt.
Dies sind umstrittene empirische Fragestellungen. Vielleicht ist es für den rechtlichen Rahmen nicht so wichtig, ob sich die Aspekte ?ndern, sondern ob unsere derzeitigen Konzepte (von Missbrauch, Identit?t, Privatsph?re etc.) abstrakt genug sind, um sich dem ununterbrochenen Wandel stets anzupassen. Bislang gehe ich davon aus.
Beteiligung
Im Zusammenhang mit dem Beteiligungsgedanken in der digitalen Welt k?nnen wir an Untersuchungen zu folgenden Aspekten anknüpfen:
- Kontakt zu Gleichaltrigen zum gegenseitigen Austausch, zur Vernetzung und Zusammenarbeit.
- Benutzerfreundliche Foren für Kinder und Jugendliche.
- Kindergeleitete Initiativen für den lokalen und globalen Wandel.
Bei diesen Punkten sehe ich weniger Debatten darum, ob das Internet Rechte neu gestaltet, sondern eher darum, wie man mit dem Aufeinandertreffen der miteinander konkurrierenden Rechte umgeht – meist zwischen Schutz und Beteiligung.
Die Kinderrechtskonvention versichert, dass die Stimmen der Kinder ?in allen das Kind berührenden Angelegenheiten“ geh?rt werden und die Umsetzungen ?der jeweiligen Entwicklung entsprechend“ sowie ?im Interesse des Kindes“ geschehen sollten.
Aber was genau im Interesse des Kindes ist, inwieweit Kinder ihrem Entwicklungsstand entsprechend Entscheidungen beeinflussen k?nnen, die sie betreffen – darüber wird in der Forschung gestritten. Oft ist die Entscheidung konservativ, risikoscheu und stellt den Schutz über die Beteiligung. Dementsprechend sind zumindest in der n?rdlichen Hemisphere restriktive Ans?tze bezüglich der Internetnutzung von Kindern sowohl zu Hause als auch in der Schule die Regel.
In ?ffentlichen Foren gibt es interessante Experimente, die auch schon relativ junge Kinder einladen, an der virtuellen Welt teilzunehmen und auf eine sinnvolle Art und Weise ihre Meinung zu ?u?ern. In der Praxis zeigt sich jedoch oft, dass nur die privilegierten ?üblichen Verd?chtigen“ solche Chancen nutzen k?nnen und dass M?glichkeiten der Mitsprache h?ufig wirkungslos oder ungeh?rt bleiben.
Die Frage nach Beteiligung, insbesondere weltweit, deutet auf ein generelleres Problem im Rahmen der Kinderrechte hin. Sie sind wie alle Abhandlungen fundamentaler Rechte in einer Universalsprache verfasst. Dadurch entstehen – rhetorisch und normativ/rechtlich – enorme Vorteile für die entsprechenden Regelungen sowie die Praxis innerhalb eines Landes wie auch grenzübergreifend. Kinderleben werden allerdings entscheidend durch bestimmte kulturelle Kontexte beeinflusst und ihre Bedeutung ist lokal stark verankert.
Die Anwendung universaler Rechtsrahmen kann in bestimmten Kontexten im Extremfall aus Rechten Unrecht machen, wenn Au?enstehende fremde Werte verkünden, w?hrend sie lokale Gepflogenheiten verletzen und etablierte Gemeinschaftsrituale falsch interpretieren oder st?ren. Ich k?nnte dies ein weiteres Paradox nennen! Wie sollten Kinderrechtsorganisationen beispielsweise das Recht auf die freie Auslebung der sexuellen Identit?t unterstützen? Und sollten sie leichtere Mitsprache- und Partizipationsm?glichkeiten für Kinder schaffen, auch wenn dies mit famili?ren oder gesellschaftlichen Traditionen in Konflikt ger?t?
- Harvard-Historiker Samuel Moyn bemerkt dazu, dass es unm?glich sei, von der Verkündung formaler Berechtigungen zu der Sicherstellung echter Bedingungen überzugehen, ohne dabei unterschiedliche Wege und kontroverse politische Entscheidungen in Betracht zu ziehen.
- Folglich fordert Kinderrechtsexperte Karl Hanson, dass wir die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen der Entwicklung von Gesetzen, Richtlinien und Programmen im Namen der Kinderrechte kritisch hinterfragen.
Eine globale Herangehensweise
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, k?nnen wir aus der n?rdlichen Hemisphere keine Forschungsvorhaben für den Süden erstellen. Stattdessen brauchen wir einen partnerschaftlichen Ansatz für zwischenstaatliche Wissenschaft, eine Verbindung exakter Untersuchungsmethoden mit einem zwischenmenschlichen Dialog, um lokale Umst?nde zu verstehen und auf diese eingehen zu k?nnen. Genau das passiert gerade mit einer willkommenen Erweiterung der Evidenzbasis.
Langsam beginnen wir die Unterschiede der Internetnutzung in verschiedenen L?ndern zu verstehen – in aller Regel geschieht diese mobil, ist eher Gemeinschaftseigentum und nicht im Besitz einzelner Personen, ist oft geschlechterspezifisch, schonungslos kommerziell, gr??tenteils nicht reguliert, enth?lt wenige ?ffentliche Inhalte oder gar welche in der eigenen Landessprache und so weiter. Vielleicht helfen uns diese Erkenntnisse bei dem Verst?ndnis, dass ein universeller rechtlicher Rahmen durch die Beachtung der Komplexit?t und Diversit?t des Alltags von Kindern gestützt werden muss.
Auch werden die Forschungsabsichten und Richtlinien, die bereits in der n?rdlichen Hemisphere entwickelt wurden, vor Herausforderungen gestellt, da wir einen entscheidenden Wendepunkt erreicht haben. Zwei Drittel der knapp drei Milliarden Menschen, die das Internet nutzen, leben auf der Südhalbkugel. Und dort lebt auch die n?chste Milliarde. Wenn man beachtet, dass der Kinderanteil in Entwicklungsl?ndern deutlich h?her ist als in entwickelten Staaten, bedeutet dies, dass etwa jede dritte Person, die das Internet weltweit nutzt, unter 18 Jahre alt ist.
Um also Kinderrechte in der digitalen Welt zu verstehen, ist es an der Zeit, einen globaleren Standpunkt einzunehmen, und um Internetnutzung auf globaler Ebene zu verstehen, ist es an der Zeit, die bedeutende Anzahl von Kindern, die das Internet nutzen, anzuerkennen.
Versorgung
In Bezug auf die Versorgungsrechte von Kindern k?nnen wir an Untersuchungen zu folgenden Aspekten anknüpfen:
- Formelle und informelle Lernressourcen und Bildungsinhalte.
- Gut zug?nglicher und fachspezifischer Informationsreichtum sowie die digitalen Kompetenzen, diese gut nutzen zu k?nnen.
- M?glichkeiten für Kreativit?t, Erkundungenund Unterhaltung.
- Zugang zur eigenen Kultur und Herkunft sowie deren Repr?sentation.
- Formen der Entsch?digung, Repr?sentation,Beratung und Unterstützung.
Ich h?tte gedacht, dass dieses zentrale Recht das deutlichste sei. Allerdings ist es unerwartet verzwickt, die Politik über entsprechende Forschung zu informieren. Auch sollten Probleme von Initiativen wie One Laptop Per Child und ?hnlicher beachtet werden, die Kindern Mobilger?te und westliche Informationsquellen zur Verfügung stellen, ohne lokale Hierarchien oder Traditionen wirklich zu verstehen.
Zur Fokussierung des Problems m?chte ich an dieser Stelle auf Isaiah Berlins klassische Unterscheidung zwischen positiven und negativen Freiheiten hinweisen. Kinderrechte auf Schutz sind ein Fall negativer Freiheiten – beispielsweise dass Kinder ohne Missbrauch und Gewalt aufwachsen sollten. Negative Freiheiten sind meist weniger kontrovers als positive, da sie im Sinne eines minimalistischen Rechtsansatzes darauf abzielen, Leid zu beseitigen.
Allerdings ist die Versorgung von Kindern (genauso wie Beteiligungsrechte) ein Beispiel für positive Rechte. Und diese k?nnen kontrovers sein, da sie dazu tendieren, eine maximalistische Sichtweise zur Geltung zu bringen – und oft auf eine implizit normative, westliche und kapitalistische Art vorschreiben, was das gute Leben sein kann oder soll. Das Recht auf Bildung (oder Spiel oder Identit?t oder Kultur) wird diskussionslos behauptet, aber woher nehmen wir uns das Recht vorzuschreiben, dass Kinder nicht nur ohne Angst vor Verletzungen aufwachsen sollten, sondern auch im Sinne einer sp?tmodernen Vorstellung einer partizipativen Demokratie oder einer westlich-kapitalistischen Sichtweise auf das Lernen als Vorbereitung
auf die Informationswirtschaft?
Mir ist aufgefallen, dass nur wenige politische Entscheidungstragende überzeugend darlegen k?nnen, was eine sehr gute Versorgung für Kinder, die im Internet verkehren, ausmacht. Ist ihnen bewusst, dass das Zur-Sprache-Bringen einer positiven Vorstellung die Grenzen zu einer maximalistischen Verordnung überschreiten würde, die anderen unsere eigenen Werte auferlegt? Wer darf entscheiden, was besser ist?
Aber wenn diejenigen, denen das Wohl der Kinder am Herzen liegt, nicht wissen oder nicht aussprechen, was sie m?chten, so übernimmt der Markt gerne die Aufgabe, die entsprechenden Lücken in unserer Vorstellung zu füllen. Auch wenn ein minimalistischer Ansatz vielleicht klug w?re, f?nde ich es sch?n, wenn wir uns einen anspruchsvolleren Ansatz bezüglich der Versorgung minderj?hriger Internetnutzer zumindest ausmalen – und m?glich machen – würden.
Die Einbeziehung von Kinderstimmen in die Steuerung des Internets
Ich habe also die Rechte auf Schutz, Versorgung und Beteiligung genutzt, um zu zeigen, wie die ?bertragung von sozialwissenschaftlichen Befunden auf die Kinderrechte einige wichtige Herausforderungen bezüglich der folgenden Aspekte bereith?lt:
- des Schadens, der das Recht auf Schutz untermauert,
- der Handlungskraft, die das Recht auf Beteiligung untermauert,
- und der Bedürfnisse, die das Recht auf Versorgung untermauern.
Eine aktuelle multinationale Konferenz mit Kindern konnte zeigen, dass sie selbst von einer festen und positiven Verbindung zwischen Rechten und dem Internet ausgehen:
- Der Zugang zu Internet und mobiler Technologie ist ein Grundrecht.
- Das Internet und die Mobilfunktechnik sind die Medien, mit denen Kinder derzeit von ihren Rechten auf Information, Bildung und Beteiligung Gebrauch machen.
- Die entsprechenden Kompetenzen (im Bereich digitaler und gedruckter Medien, Informationen etc.) stellen die Basis für einen Zugang und die effektive Nutzung des Internets dar, womit Rechte in der digitalen Welt erst wahrgenommen werden k?nnen.
- Kinder verstehen, dass mit den Rechten auch Verantwortlichkeiten einhergehen, und wünschen sich, dass sie in die betreffenden politischen Beratungen miteinbezogen werden.
Dies stellt die politischen Entscheidungstragenden vor einige Herausforderungen:
- Das Internet kann das Alter der Menschen, die es nutzen, gr??tenteils nicht erkennen, was es wiederum erschwert, Rechte Minderj?hriger, die das Internet nutzen, sicherzustellen – oder auch nur zu evaluieren, inwieweit ihre Rechte derzeit unterstützt werden –, und die Normen, die au?erhalb des Internets entstanden sind, welche die F?higkeiten und das Wohlergehen der Kinder im Auge haben, werden hierbei vernachl?ssigt.
- Das Internet ist grunds?tzlich ein propriet?res System, so dass nun kommerzielle Interessen in noch nie dagewesenem Ausma? die Kommunikation, das Spiel, das Lernen und sogar den Missbrauch beeinflussen.
- Das Internet ist im Grunde genommen ein globales Netzwerk, so dass Kinderrechte (laut Kinderrechtskonvention in der Verantwortlichkeit des Staates) von einem System beeinflusst werden, welches sich nationaler Rechtsprechung entzieht (mit Ausnahme vielleicht der USamerikanischen Gerichtsbarkeit), und dies in noch nie dagewesenem Ausma?.
Mit dem Argument, dass sich das Internet zu schnell ?ndere, zu international und zu komplex sei, geben die Staaten die Verantwortlichkeit für die Kinderrechte (und Rechte generell) an eine fragile Mischung aus einem Good-Practice-Leitfaden, willkürlicher Selbstregulierung, sporadischer Anstrengung in Richtung einer sozial- gemeinschaftlichen Verantwortung und multinationalen Foren ohne zentrale Ansprechpartner ab.
An dieser Stelle komme ich zu meinem letzten Paradox: Obwohl die Nutzung des Internets durch Kinder bejubelt wird, Sorgen bereitet oder vorgesehen wird, kommen Kinder als spezifische Gruppe Internetnutzender kaum zu Wort – ungeachtet dessen, dass sie ein Drittel dieser Nutzer ausmachen.
Kaum eine der aus dem Boden sprie?enden Internetrechtskonventionen erw?hnt Kinder überhaupt und wenn doch, dann nur als Opfer illegalen Kindesmissbrauchs. Der Grund dafür liegt darin, dass Kinder in Debatten über die Internetsteuerung stets als Behinderung der Erwachseneninternetrechte gesehen wurden (Kinderschutz ist ein verdecktes Argument für die Zensur etc.). Dies beschw?rt eine Welt herauf, in der Erwachsene Beteiligungsrechte haben, aber kaum auf Schutzrechte angewiesen sind (und Kindern sollten im besten Falle Schutzrechte, aber kaum Beteiligungsrechtegew?hrt werden).
Das hat zur Folge, dass Menschen, die Internetrechte und -freiheiten am st?rksten befürworten, die Rechte von einem Drittel der Menschheit – n?mlich den Kindern – am wenigsten anerkennen. Im Gegensatz zur Ausgrenzung aufgrund von ethnischer Zugeh?rigkeit, des Geschlechts, der Sexualit?t oder einer Behinderung scheint das Alter unsichtbar zu sein. Kinder sind bestenfalls das Problem anderer (meist das der Eltern) und schlimmstenfalls ein Hindernis auf dem Weg der Erwachsenenrechte.
Im Gegensatz dazu habe ich mich dafür ausgesprochen, dass die Kinderrechte in der digitalen Welt nicht nur geschützt, sondern anerkannt und unterstützt werden müssen. Um diese Herausforderungen annehmen zu k?nnen, sind wir auf einen wirklich globalen Dialog- und Erw?gungsprozess angewiesen, der die Stimmen und Erfahrungen der Kinder unbedingt miteinbeziehen muss.
Fazit
Ich habe mich also mit einer Mischung aus Enthusiasmus und zurückhaltender Vorsicht für einen Rahmen zur Erforschung von Kinderrechten im digitalen Zeitalter ausgesprochen. Ein solcher rechtlicher Rahmen erm?glicht zum einen ein strukturiertes Untersuchungsvorhaben, zum anderen einen strategischen Weitblick und au?erdem eine ethische Inspiration zur St?rkung von Kindern.
Wenn wir die Schwierigkeiten berücksichtigen, erm?glicht uns dieser rechtliche Rahmen auf eine ehrgeizige Weise eine Ver?nderung der üblichen und oft dekontextualisierten Fragestellungen bezüglich der technischen Bedeutung, so dass wir die Einbettung digitaler Medien in die Welt der Kinder besser verstehen und auch kontextualisieren k?nnen. Und vielleicht gestalten wir die Kinderrechte nebenbei mit um.
Au?erdem werden sowohl Werte als auch Prozesse thematisiert, mit denen sich die Wissenschaft für erweiterte, theoretische Richtlinien und praktische Vorgehensweisen einsetzen kann. Dabei werden – so hoffe ich – naive ?bertragungen aus der Nordhalbkugel auf den Süden vermieden und – so hoffe ich ebenfalls – neue Ideen und Gedankeng?nge über Kinderleben und Kinderrechte geboren, w?hrend die Internetnutzung und dementsprechend unsere Forschungsagenda immer globaler wird.
Aus dem Englischen von Verena Mertz.