Prof. Dr. Heiko Staro?om

Tischrede

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrü?e Sie sehr herzlich hier im Scotland-Saal des Atlantic Grand Hotels Bremen. Wieder einmal kommen wir zu den Bremer Universit?ts-Gespr?chen zusammen. Das diesj?hrige Thema lautet: Die Zukunft von Medien, Kommunikation und Information. Ein unglaublich spannendes Thema! Vor allem ist dies auch ein Thema, bei dem jede und jeder mitreden kann – und dies auch tut. Haben Sie schon einmal beobachtet, dass überall, wo Menschen zusammenkommen, die sich mindestens rudiment?r kennen, sofort ein Gespr?ch beginnt. Die menschliche Sprache hat sechsundzwanzig Buchstaben und erzeugt damit unbegrenzt viele neue S?tze. Nun ja, so war es zumindest in der grauen Vergangenheit, vor dem Smartphone.

Aber wir sind uns auf jeden Fall einig, dass Kommunikation etwas zutiefst Menschliches ist. Wir werden also ein Bremer Universit?ts-Gespr?ch haben, welches uns alle betrifft. Wenn bei diesem Thema alle mitreden k?nnen, dann habe auch ich eine Chance, einen kleinen Beitrag zu leisten. Ich m?chte Sie teilhaben lassen an den Gedanken eines Menschen nach jahrzehntelangem Medien-, vor allem Zeitungskonsum.

Zun?chst m?chte ich mit einer eigenen Erfahrung aus diesem Frühjahr beginnen: Ende Januar dieses Jahres rief mich Christian Siedenbiedel an. Siedenbiedel ist ein Journalist für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, den ich aus meiner Zeit bei meinem vorigen Arbeitgeber kenne, als ich als Vorstandsvorsitzender den zweitgr??ten Unfall der Genossenschaftsorganisation saniert habe – eine gro?e Volksbank im vorderen Odenwald. Wir waren damals ausreichend spannend für die Medien, und ich erinnere mich an einige gute, konstruktive Gespr?che mit Herrn Siedenbiedel und anderen Journalisten. Ich erinnere mich auch an eine insgesamt faire Berichterstattung in den Medien: Ich hatte nicht erwartet, dass die Zeitungen eine Werbebroschüre über uns verfassen würden. Ich war also positiv gestimmt, als Herr Siedenbiedel sich bei mir meldete.

Er begann mit einem kurzen Rückblick auf die alten Zeiten und erz?hlte dann, er sitze an einer Story darüber, dass die Europ?ische Zentralbank (EZB) ja verbreiten würde, die von der EZB erzwungenen niedrigen Zinsen seien eigentlich ein Geschenk an die Banken. Wie ich denn dazu stehen würde? Damit hatte er bei mir den richtigen Knopf gedrückt. Ich war sofort im Kampfmodus! Wir haben uns dann sehr konstruktiv darüber ausgetauscht, dass natürlich zumindest die nordeurop?ischen und deutschen Banken sehr unter der Niedrigzinsphase leiden, die Sparer enteignet werden und auf Dauer Kapital in falsche Verwendungen flie?t.

Vieles davon fand ich am darauf folgenden Sonntag in der Zeitung inhaltlich richtig wieder. Auch das mit mir abgestimmte Zitat: ?Wenn die Zinsen zehn Jahre so bleiben, muss man sich sehr gro?e Sorgen machen“, war richtig wiedergegeben. Natürlich haben wir uns darüber ausgetauscht, dass dieser staatliche Eingriff in das Marktgeschehen alle Banken betrifft, gro?e wie kleine, Institute aus allen S?ulen der deutschen Kreditwirtschaft. Ich erwartete also entsprechend meinem Gespr?ch mit dem Journalisten einen Artikel über die Fakten verdrehende Rhetorik der EZB. Was aber war der Aufmacher dieses Artikels? ?Wann schlie?en die ersten Sparkassen – mit einem umgedrehten Sparkassen-S. Die niedrigen Zinsen machen Sparkassen und Volksbanken das Gesch?ft kaputt. Lange halten sie das nicht 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 durch.“ ?brigens, die Sparkasse Bremen ist in diesem Jahr 190 Jahre alt geworden, und das zweitbeste Ergebnis in diesen 190 Jahren haben wir im vergangenen Jahr erzielt. Ich bin optimistisch, dass wir noch lange durchhalten und freue mich auf das Jubil?um für 200 Jahre und darüber hinaus.

Soweit meine aktuellen Erfahrungen. Dass ich mindestens für die n?chsten zehn Jahre kuriert bin und jegliches Gespr?ch mit Journalisten meiden werde, das werden Sie wohl verstehen k?nnen. Aber die wenigsten von uns sind Teil einer Nachricht, die meisten konsumieren nur die Nachricht. Wie sieht es aus dieser Perspektive aus?

Die einschl?gige historische Forschung ist sich ziemlich einig: Nicht – wie unsere technik- und medienbegeisterte Gegenwart anzunehmen geneigt ist – die Erfindung des modernen Buchdrucks als solche l?ste die erste neuzeitliche Medien- und Kommunikationsrevolution aus. Diese Erfindung gelang um 1450 dem Mainzer Patriziersohn und gelernten Feinschmied Johannes Gensfleisch genannt Gutenberg (1397 bis 1468). Viel澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 bewirkte erst der Tatbestand, dass Wissensbeschaffungs- und Wissensverbreitungsbedürfnisse bestimmter gesellschaftlicher Gruppen eine Massennachfrage nach Schriftgut erzeugten, eine teils stetig fortschreitende, teils schubartig verst?rkte Nutzung und damit die Durchsetzung dieser neuen, komplex arbeitsteiligen und kapitalintensiven Spitzentechnologie. Die Geschichte des Buchdrucks und die Historie des europ?ischen Wissens sind also auf das Engste miteinander verflochten. Unsere moderne Wissensgesellschaft kündigt sich hier schon früh an.

Der Aufstieg der Zeitungen zum privilegierten Organ moderner ?ffentlichkeit beginnt im frühen 17. Jahrhundert. Mit den Zeitungen wie der periodischen Presse insgesamt bildet sich eine s?kulare Weltwahrnehmung heraus. Durch die Symbiose mit Wirtshaus, Kaffeehaus und Lesekabinetten sind Zeitungen ebenso sehr Gegenstand kollektiver wie individueller Lektüre, die Sucht nach Neuigkeiten kann durch Vorlesen auch illiterate Bev?lkerungskreise erfassen. An den Auflageh?hen allein l?sst sich daher die Dynamik nicht ablesen, mit der die Zeitungen den stets nachwachsenden Rohstoff Neuigkeit schon in die Kapillaren der Gesellschaft injizieren, ehe sie im 19. Jahrhundert ihren steilen Aufstieg zum Massenmedium erleben.

Schon Jean-Jacques Rousseau hat die Presse als die vierte S?ule des Staates bezeichnet. Im Kontext der liberalen Theorie der Presse, die ihre Blütezeit im 19. Jahrhundert erlebte, wurde die Bezeichnung der Presse als ?vierte Gewalt“ gebr?uchlich. Die Medien stehen in diesem Verst?ndnis neben den drei klassischen Gewalten Gesetzgebung (Legislative), Verwaltung und Polizei (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative). Damit werden die Institutionen der ?ffentlichen Meinung dem Prospekt einer horizontalen Aufteilung rechtskonformer Macht eingegliedert. Dort geh?ren sie natürlich nicht hin, auch wenn lange darüber gestritten worden ist, ob die Medien aufgrund ihres faktischen Einflusses auf die Politik doch neben den klassischen Gewalten stehen. Das aber ist ein Irrtum, weil ?ffentlichkeit nur in Distanz zu allen anderen Instanzen des Gemeinwesens entsteht.

Falls die Presse also überhaupt eine Gewalt ist, so ist sie eine, die sich in grunds?tzlicher Differenz gegen die anderen drei Gewalten zu behaupten hat. Die Idee, die Zukunft der papiergebundenen Zeitung aus ?ffentlichen Mitteln subventionieren zu wollen, mit dem Argument, sie sei notwendig für den Fortbestand der Demokratie, verlangt, dass sich die Zeitungen in Abh?ngigkeit von den Instanzen zu begeben h?tten, deren reflexives Gegenüber sie sein müssen. Die Aufhebung dieser Distanz l?dt zur Korruption ein, zumindest zum Korruptionsverdacht. Wenn die ?ffentlichkeit kein Interesse 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 an dem Medium hat, wenn die Gesellschaft nicht l?nger auf sich selbst reflektieren will, dann kann keine ?ffentliche Subvention sie an dieser Selbstaufl?sung hindern. Bis dahin müssen wir zu verstehen suchen, dass Politiker in Medienkampagnen untergehen und dennoch nach Medienpr?senz gieren bis zur Würdelosigkeit, dass Medien genauso die N?he der Politik suchen, und zwar jenseits reiner Berichtspflichten.

Mit dem Begriff Mediendemokratie drückt man aus, dass sich die politische ?ffentlichkeit an den Darstellungsprinzipien der Massenmedien ausrichtet. Politisch wirklich ist nur das, was fotografierbar und erz?hlbar ist. Für Human Interest ist aber erst dann gesorgt, wenn alle Probleme personalisiert sind. Schlie?lich muss Aufmerksamkeit und Fortsetzbarkeit generiert werden, indem man der Story Konfliktform gibt. Das sind die formalen Bedingungen dafür, dass Politik als gute Unterhaltung verkauft werden kann.

In der Mediendemokratie werden politische Probleme nicht durchdacht, sondern gefühlt. Das erreicht man am einfachsten durch die Moralisierung eines Problems. Sie erm?glicht auch denen, die von der Sache nichts verstehen, an der Diskussion teilzunehmen. Moralisierung ist also eine Serviceleistung für Inkompetente. Sie haben es dann mit Menschen und Geschichten statt nur mit Ideen und Werten zu tun.

Je unübersichtlicher und komplexer die Welt wird, desto wichtiger werden Vereinfachungen. Unter modernen Medienbedingungen muss die Politik alle Probleme personalisieren. Die Stars der politischen Bühne ersparen uns dann Investitionen in Kompetenz und Urteilskraft. Hinzu kommen aber auch sachliche Gründe. Genau in dem Ma?e, in dem wir Komplexit?t durch Vertrauen reduzieren, muss die Politik personalisiert werden. Deutlicher gesagt: Die Personalisierung der Politik ist der Ausweg aus der Inkompetenz; das Urteil über Personen ersetzt das Urteil über Sachfragen.

Im gro?en Unterhaltungsprogramm der ?ffentlichkeit bilden Politik, Medien und Demoskopie eine Endlosschleife. Talkshows und TV-Duelle sind Unterhaltungssendungen, in denen die Medien und die Politik sich gegenseitig inszenieren, umrahmt von Demoskopen und Experten, die in anschlie?enden Sendungen über die Sendung sicherstellen, was eigentlich zu h?ren und zu sehen war. Daraus kann man nicht nur lernen, dass Politik ein Teil der Unterhaltungsindustrie geworden ist, sondern auch, dass der Kern der Demokratie die Demoskopie ist. In dieser Form herrscht das Volk über seine politischen Führer. Demoskopie hilft den Leuten, ihre Wahl zu treffen, denn dazu müssen sie wissen, wie die anderen w?hlen; und sie hilft den Politikern, sich im Wahlkampf zu profilieren, denn dazu müssen sie wissen, was die Leute h?ren m?chten. Die W?hler werden schlie?lich zu Zuschauern ihres eigenen vorausgesagten Verhaltens.

Eine Nachrichtensendung ist also dann gut, wenn sich die Zuschauer gut informiert fühlen. Wie überall in der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts hei?t es auch hier: Der Kunde ist das Produkt. Und das Produkt einer guten Nachrichtensendung ist eben der Zuschauer, der sich gut informiert fühlt. ?ffentliche Meinung ist damit nicht das, was die Leute meinen, sondern das, was die Leute meinen, was die Leute meinen.

Die Zeitung wendet sich immer an die Allgemeinheit. Doch ist die Allgemeinheit der Zeitung stets eine partikulare, in jeder Hinsicht: in Bezug auf die Auflage, den Preis, das Vertriebsgebiet oder, nicht zuletzt, das Bildungsniveau. Rechnet man zum Beispiel die Leser zusammen, die es in Deutschland für seri?se nationale Tageszeitungen gibt, kommt man auf nicht 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 als auf 2,5 Prozent der Gesamtbev?lkerung. Addiert man die Leser der ernsthaften Wochenpresse hinzu, wobei man berücksichtigen muss, dass viele Menschen sowohl eine Tages- als auch eine Wochenzeitung beziehen, ist man vielleicht bei fünf Prozent der Bev?lkerung. Und ist man schlie?lich gro?zügig und schlie?t anspruchsvolle Regionalzeitungen ein, ist immer noch von weniger als zehn Prozent aller Bürger die Rede. Anders gesagt: Die Zeitung ist eine elit?re Veranstaltung, ob man will oder nicht. Und: Die Zeitung ist elit?r, nicht obwohl, sondern weil sie einen Anspruch auf Allgemeinheit erhebt. Sie ist repr?sentativ, und sie muss sich als repr?sentativ verstehen, weil ihre Aufgabe darin besteht, den festen Rahmen zu schaffen, in dem jede wichtige, neu hinzukommende Nachricht verhandelt wird.

Den Medien wird also oft Einfluss zugeschrieben. Einfluss gründet sich h?ufig auf Autorit?t, und von allen Qualit?ten, die eine Zeitung oder – allgemeiner – Medieninstitution besitzen kann, ist eine allen Ereignissen übergeordnete Autorit?t die am schwierigsten zu erreichende.

Es gibt nur eine Art Autorit?t zu erwerben: durch Wissen, Klugheit, Verl?sslichkeit, durch freie, begründete Urteile, die der Diskussion unterworfen werden. Das bedeutet auch, dass originelle Ideen die Autorit?t eines Mediums nur stützen, aber nicht garantieren k?nnen. Eine solche Autorit?t kann nur über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut werden. Und sie muss t?glich verteidigt werden! Vertrauen schwindet, wenn das Publikum davon überzeugt ist, dass eine Koalition von Interessen das Vorkommen alternativer Ansichten oder Argumente im ?ffentlichen Austausch abwehrt.

Besitzen Medien, vor allem Zeitungen, einmal Autorit?t, dann verliert das Format (Papier oder Tablet oder Smartphone) an Bedeutung. Umfragen unter Lesern von Tageszeitungen belegen immer wieder, dass vor allem ein ?lteres Publikum zur Zeitung greift. Dazu geh?re mittlerweile auch ich. Dabei kann ich für mich ins Feld führen, dass ich schon seit meinem 17. Lebensjahr Abonnent einer gro?en deutschen Wochenzeitung aus Hamburg und sp?ter 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育erer Tageszeitungen war. Dagegen ist die Leserschaft bei heutigen Menschen unter vierzig und 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 noch unter drei?ig Jahren gering und nimmt zudem auch noch ab. Gleichzeitig zeigen dieselben Untersuchungen, dass die Autorit?t der Zeitung dadurch nicht abnimmt: Sie ist in dieser Hinsicht auch beim jüngeren Publikum allen anderen Medien überlegen. Manch einer liest dann die Zeitung in der Ausgabe auf elektronischen Leseger?ten, wie meine Kinder.

Zu den vielen Scherzen, die Graf Bobby, einer erfundenen Figur aus dem Wien der fünfziger Jahre, zugeschrieben werden, geh?rt das gespielte Erstaunen darüber, dass auf der Welt an jedem Tag genauso viel passiert, wie in die Zeitung von morgen passt. In diesem Witz ist eine Einsicht in die Grundlagen der Zeitung verborgen: Es l?sst sich zwar über alles schreiben, die Gegenst?nde und Schreibweisen sind virtuell unendlich. Aber man muss es auf einer begrenzten Fl?che und für einen bestimmten Zeitpunkt tun. Lange Zeit war diese Begrenzung so selbstverst?ndlich, dass man nicht darüber nachdachte. Heute steht sie jedoch in Kontrast zu den scheinbar unendlichen M?glichkeiten der digitalen Medien, und zwar sowohl in Bezug auf die r?umliche Begrenzung als auch in Hinsicht auf die Bindung der Zeitung an die Zeit: Die Tageszeitung muss eben an einem Tag gedruckt und vertrieben werden. Danach verwandelt sie sich in Archiv und Altpapier. Diese beiden Elemente – temporale und stoffliche Abgeschlossenheit – geh?ren zu den Grundbestimmungen jedes Exemplars einer auf Papier gedruckten Tageszeitung.

Eines der Motive, die seit der Herausbildung der gedruckten Zeitung im frühen 17. Jahrhundert die Entwicklung der Medien vorantrieben, war die Verringerung des zeitlichen Abstands zwischen dem Ereignis und seiner Einspeisung in die Zirkulation als Nachricht. Dass die gedruckte Tageszeitung mit schnelleren Medien konkurrieren muss, ist also nichts Neues. Seit fast hundert Jahren ist sie langsamer als der Rundfunk, seit etwa sechzig Jahren langsamer als das Fernsehen. Diese Konkurrenz hat der gro?en, seri?sen Tageszeitung bisher nicht nachhaltig geschadet. Im Gegenteil, in Deutschland waren die neunziger Jahre – die Jahre nach der allgemeinen Durchsetzung des Privatfernsehens und des PCs – für die Zeitungen eine der erfolgreichsten Perioden ihrer jüngeren Geschichte.

Der fundamentale Unterschied zwischen der damaligen und der heutigen Konstellation besteht darin, dass die Digitalisierung die Zeitung jetzt selbst erreicht hat: Sie ist Teil der Zeitung geworden. Zun?chst in ihrem Produktionsprozess, dann in der Distribution. W?hrend die papiergebundene Zeitung also so langsam geblieben ist, wie sie das seit Jahrzehnten ist (sie ist, nach dem Wegfall der Extrabl?tter, sogar langsamer geworden), hat sie gleichzeitig Anteil an den schnellsten, an den digitalen Medien. Auf der einen Seite gebunden an Papier und Druck, tritt sie gleichzeitig als Repr?sentantin h?chster Aktualit?t auf. M?glich ist dies, weil es sich beim Internet nicht, wie beim Rundfunk und beim Fernsehen, um ein anderes Medium, sondern um eine neue Infrastruktur für Medien handelt. Die Beschleunigung der Medien, die vor zweihundert Jahren begann, ist indessen an ihrem historischen wie systematischen Ende angekommen. Die Nachricht hat das Ereignis erreicht, in Gestalt der sozialen Medien. Das aber hat nicht nur zur Folge, dass die Nachrichtenagenturen ihr Monopol verlieren, sondern auch, dass die Beschleunigung des Nachrichtenflusses aufh?rt, das letzte und entscheidende Kriterium in der Konkurrenz der Medien zu sein.

Es w?re aber ein Irrtum zu glauben, die Internetausgabe sei gegenüber der gedruckten Tageszeitung das durchg?ngig aktuellere Medium. In jeder Netzausgabe (und das gilt für alle Zeitungen) stehen Artikel, die wesentlich ?lter sind als die Zeitung von gestern. Online bedeutet also keineswegs nur einen h?heren Grad von Aktualit?t, sondern auch einen h?heren Grad von Archiv.

Unter denjenigen, die gegenw?rtig in der ?ffentlichkeit über die Zukunft der Zeitung sprechen, z?hlt die Mehrheit offenbar zu einer besonderen Art von Adventisten. Diese sind überzeugt davon, der endgültige Triumph der digitalen über die papiergebundenen Medien sei schon bald zu erwarten. Doch beruft sich dieser Adventismus auf einen tautologischen Gedanken, darauf n?mlich, die n?chste Zukunft k?nne gar nicht anders, als eine Fortsetzung der jüngeren Vergangenheit zu bilden. Zwar haben sich die Zeitungen in den vergangenen zwanzig Jahren sehr ver?ndert und sind von ausschlie?lich papiergebundenen Unternehmungen zu Mischwesen zwischen Papier und Digitalem geworden. Doch ist es keineswegs gewiss, dass diese Mischwesen nur Ph?nomene des ?bergangs sind. Mindestens genauso wahrscheinlich ist es, dass die Doppelstruktur von Print und digitalen Medien erhalten bleibt. Und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Mischwesen in Zukunft wieder gr??ere Anteile Papier enthalten. Tats?chlich erw?chst die gr??te Zukunftschance der gedruckten Zeitung aus der Konsequenz, mit der sie dem ?berfluss von Optionen im Netz die Verknappung der Optionen im Print gegenüberstellt, redaktionell wie technologisch.

Ich werde also auch in Zukunft ein eifriger Zeitungsleser bleiben!