Exkurs: Die Erfassung von Sexualit?t

  • Regenbogenfarbenes Spektrum in Wellen

    Vorstellung Leitfragen zur Unterstützung bei der Erfassung der unterschiedlichen Dimensionen von Sexualit?t

Geschlecht und Sexualit?t sind gesundheitsrelevante Faktoren, die eng miteinander verwoben sind.

Wie Geschlecht umfasst auch Sexualit?t verschiedene Dimensionen: die sexuelle Identit?t, die sexuelle Attraktion und das sexuelle Verhalten (Cerwenka and Brunner, 2018).

Die verschiedenen Dimensionen von Sexualit?t

Die sexuelle Identit?t beschreibt, wie sich eine Person selbst in Bezug auf ihre Sexualit?t definiert, w?hrend die sexuelle Attraktion aussagt, von wem sich eine Person sexuell oder romantisch (Split Attraction Model) angezogen fühlt. Nicht immer allerdings identifizieren sich Menschen, die gleichgeschlechtlich begehren, auch als homosexuell. Die ausschlie?liche Erfassung der sexuellen Identit?t k?nnte zu missverst?ndlichen Ergebnissen führen. Das sexuelle Verhalten umfasst eine weite Spanne verschiedener Aspekte, wie beispielsweise die Personen, mit denen die Befragten tats?chlich sexuell aktiv sind, die ausgeführten sexuellen Praktiken oder auch die verwendeten Verhütungsmethoden (Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation et al., 2022). Dabei muss sich eine Selbstverortung in einer sexuellen Identit?tskategorie (z.B. schwul) oder eine sexuelle Attraktion nicht unbedingt im sexuellen Verhalten widerspiegeln. So k?nnen aus verschiedenen Gründen Menschen, die z.B. gleichgeschlechtlich begehren, heterosexuellen Geschlechtsverkehr praktizieren, sei es z.B. aufgrund verinnerlichter Homophobie und gesellschaftlicher Erwünschtheit, im Rahmen von Sexarbeit oder aufgrund pers?nlicher Abh?ngigkeiten. Die ver- schiedenen Dimensionen von Sexualit?t sind also nicht zwingend kongruent.

Gemalte Menschen in verschiedenen bunten Farben, die einen Kreis bilden
? Gerd Altmann/ Pixabay

Die h?ufigsten verwendeten Begriffe zur Beschreibung der Sexualit?t beruhen auf einer geschlechtlichen Binarit?t und unterteilen Menschen danach, ob sie sich vom jeweils anderen Geschlecht (heterosexuell), ihrem eigenen Geschlecht (homosexuell) oder beiden Geschlechtern (bisexuell) angezogen fühlen. Ein Mann, der M?nner begehrt, ist demnach schwul, eine Frau hingegen, die M?nner begehrt, ist heterosexuell. Für eine nicht-bin?re Person funktioniert diese Einteilung nicht. Die zunehmende Anerkennung von Identit?ten jenseits eines bin?ren Geschlechterkonzeptes erfordert somit auch ein breiteres Konzept von Sexualit?t. Erste Bezeichnungen, die über ein bin?res Verst?ndnis von Geschlecht hinausgehen (z.B. pansexuell, androphil (sich emotional und sexuell zu M?nnern hingezogen fühlen) und gynophil (sich emotional und sexuell zu Frauen hingezogen fühlen)), finden zunehmend auch ihren Weg in die Gesundheitsforschung. Für die Zukunft ist allerdings eine konsequentere Berücksichtigung der Vielfalt und Komplexit?t von Geschlecht und Sexualit?t notwendig (Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation et al., 2022).

Je nach Forschungsthematik besteht die Notwendigkeit einer differenzierten und pr?zisen Erfassung der verschiedenen Dimensionen von Sexualit?t. Forschende, die Sexualit?t miterfassen m?chten, sollten sich daher in einem ersten Schritt bewusst machen, welche Informationen zur Beantwortung ihrer Forschungsfrage relevant sind und geeignete Fragebogenmodule verwenden, um diese zu erfassen.

Wir schlagen daher folgende Leitaspekte vor, um Forschende dabei zu unterstützen, geeignete Fragen nach Sexualit?t für ihre konkrete Forschung zu entwickeln:

Asexuelles Spektrum/ Asexualit?t

Unter Asexualit?t versteht man das Nicht-Vorhandensein sexueller Anziehung gegenüber anderen.

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Hinweise für die Erfassung von sexueller Diversit?t

Beachten Sie, dass eine Person, die sich selbst z.B. als homosexuell bezeichnet, nicht ausschlie?lich oder auch gar keinen homosexuellen Geschlechtsverkehr haben muss. Fragen Sie daher genau das ab, was Sie für Ihre Studie und Forschungsfrage als Information ben?tigen: Ist es die sexuelle Identit?t der Befragten oder ihr Begehren (was sich aber nicht als Identit?tskategorie oder gelebte sexuelle Praxis ausdrücken muss) oder das konkrete sexuelle Verhalten? Beispiele für m?gliche konkrete Fragebogenmodule, die sich mit der Sexualit?t besch?ftigten, finden Sie z.B. bei Cerwenka und Brunner (2018). Allerdings orientieren sich die von Cerwenka und Brunner (2018) vorgestellten Antwortoptionen an einem konventionellen bin?ren Geschlechtersystem (nur M?nner oder Frauen).

Gerade wenn auch die gelebte geschlechtliche Vielfalt beachtet werden soll, werden Fragestellungen nach Sexualit?t komplexer: Bezieht sich die Frage nach der sexuellen Anziehung gegenüber M?nnern z.B. nur auf cis M?nner oder auch auf trans* M?nner? Was gibt eine Person an, die sich sowohl von trans* Frauen wie auch von cis M?nnern angezogen fühlt, nicht aber von cis Frauen und trans* M?nnern?

Bieten Sie nicht nur eine Selbstverortung als hetero- oder homosexuell als Antwortoption an. Beachten Sie, dass die gelebte Realit?t über diese beiden M?glichkeiten hinausgeht.

In einer Studienpopulation k?nnen die Informationslage und Einstellungen bezüglich verschiedener sexueller Identit?ten stark variieren. W?hrend einige Befragte viel Wissen über verschiedene sexuelle Lebensweisen haben, k?nnen andere schon von Begriffen wie "heterosexuell" oder "homosexuell" irritiert sein. Je nach befragter Studienpopulation k?nnte es daher sinnvoll sein, kurze Erl?uterung z.B. in Form von Infok?sten anzubieten, um die verwendeten Begriffe zu erkl?ren.

Vorsicht gilt allerdings gegenüber Formulierungen wie ?sich vom anderen Geschlecht angezogen fühlen“ oder ?sich vom eigenen/gleichen Geschlecht angezogen fühlen“. Für nicht-bin?re oder transgeschlechtliche Personen sind diese Beschreibungen nicht ad?quat, da sie auf einem bin?ren Geschlechterkonzept beruhen, sowohl in Bezug auf die Person selbst wie auch auf die begehrten Personen. Eine M?glichkeit dies zumindest teilweise zu umgehen ist in Bezug auf die sexuelle Attraktion von androphil (M?nner liebend) und gynophil/gyn?phil (Frauen liebend) zu sprechen (Hamm and Güldenring, 2020). So k?nnte sich eine nicht-bin?re Person, die Frauen begehrt, aber per Definition weder homo- noch heterosexuell ist, als gynophil beschreiben. Diese Begriffe sind aber bisher wenig bekannt.

Durch Ver?nderungen der Lebensumst?nde oder Begegnungen mit neuen Menschen kann es zu Ver?nderungen bezüglich der eigenen Sexualit?t kommen. Daher sollten Forschende den Zeitraum definieren, für den sie Informationen erfassen m?chten. Werden ausschlie?lich sexuelle Erfahrungen der letzten Zeit erfasst oder beziehen sich die Fragen auf die gesamte sexuelle Biografie? Um Missverst?ndnisse zu vermeiden, sollten Forschende dies innerhalb ihres Fragebogens deutlich machen.

Gerade, wenn Sie zu sexuellen Minderheiten oder marginalisierten sexuellen Communities forschen wollen, suchen Sie im Vorfeld den Kontakt zu Interessenvertretungen und lassen Sie sich zu geeigneten Fragestellungen und zum Zugang zu entsprechenden Populationen beraten.


Zitierte Literatur

Cerwenka, S., Brunner, F., 2018. Sexuelle Identit?t, sexuelle Attraktion und sexuelles Verhalten – Dimensionen sexueller Orientierungen in der Survey-Forschung. Zeitschrift für Sexualforschung 31, 277–294. https://doi.org/10.1055/a-0664-4764

Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation, Committee on National Statistics, Division of Behavioral and Social Sciences and Education, National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine, 2022. Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation. National Academies Press, Washington, D.C. https://doi.org/10.17226/26424

Hamm, J., Güldenring, A.-K., 2020. Trans* und Sex: gelingende Sexualit?t zwischen Selbstannahme, Normüberwindung und Kongruenzerleben, Originalausgabe. ed, Angewandte Sexualwissenschaft. Psychosozial-Verlag, Gie?en.