Leitbild

Professionalisierung zum Reflective Practitioner

Leitbild des Qualit?tsoffensive-Projekts ?Schnittstellen gestalten“ an der Universit?t Bremen

Pr?ambel

Die Lehrerbildung an der Universit?t Bremen verfolgt als ein wesentliches Ziel die reflexive Professionalisierung von Lehramtsstudierenden im Medium der Wissenschaft. Der wissenschaftliche Charakter der Lehrerbildung soll durch Forschendes Lernen gest?rkt werden. Für Lehramtsstudierende sollen intelligente und anspruchsvolle Studienangebote er?ffnet werden, die Gelegenheiten bieten, sich wissenschaftliches Wissen, die Formen seiner Erzeugung in den Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften sowie einen kompetenten Umgang damit anzueignen. Zugleich sollen diese Studienangebote bei Lehramtsstudierenden entwicklungsbezogenes Denken in Verbindung mit einem professionellen Selbstverst?ndnis als Reflective Practitioner anregen.

Lehrkr?fte als Reflective Practitioner

Professionelles Handeln findet in komplexen Situationen statt, die zwar geplant werden müssen, faktisch aber nur bedingt vorherzusehen sind. In ihrem Ablauf und ihren Wirkungen sind sie ungewiss. Sie konfrontieren die Lehrpersonen mit Offenheit, die kompetent gestaltet werden muss.

Donald B. Sch?n hat bereits in den 1980er Jahren vor dem Hintergrund dieser Handlungskonstellation die Leitfigur des Professionellen als Reflective Practitioner (vgl. Sch?n 1983) entworfen. Bei aller Unterschiedlichkeit der heute diskutierten Ans?tze in der Professionsforschung stimmen diese darin überein, dass Reflexivit?t konstitutiv für professionelles Handeln ist. Reflexivit?t ist – neben Wissen, Erfahrung, Pers?nlichkeit und Ethos – ein zentrales Element professioneller Handlungskompetenz. Reflective Practitioner k?nnen Situationen im Unterricht und in der Schule auf fachliche, fachdidaktische und p?dagogische Anforderungen, unterschiedliche individuelle Ausgangslagen in heterogenen Lerngruppen und in Bezug auf institutionelle Rahmungen und Widersprüche untersuchen. Sensibel für die eigenen Verstrickungen darin, verstehen sie es auch, die p?dagogischen Situationen systematisch für sich und im Austausch in der Gemeinschaft von kompetenten Lehrkr?ften zu analysieren. Auf diese Weise kann Handeln reflexiv werden; dann entsteht ein Raum von Handlungsalternativen, in dem sich Reflective Practitioner bewegen und ihre Handlungsweisen ver?ndern und weiter entwickeln k?nnen.

Reflexion und Handeln

Ausgangspunkt des Modells des Reflective Practitioner nach Sch?n ist die Einheit von Denken und Handeln: Reflective Practitioner sollen in der reflection-in-action in einen reflexiven Dialog mit der Situation treten, sich in der reflection-on-action ihr handlungsleitendes Wissen (knowing-in-action) verfügbar machen und es in theoretische Horizonte einrücken. Unter anderem kritisieren Leonhard und Abels diese Vorstellung von Reflexion deutlich und weisen darauf hin, dass eben dieser Handlungsmodus der reflection-in-action gerade nicht in der universit?ren Lehrerbildung erlernt werden k?nne (vgl. Leonhard & Abels 2017). Ihre Kritik richtet sich auf die Unm?glichkeit, gleichzeitig in der Handlung zu planen und zu reflektieren. Reflexion erfordere ein ?Inne-halten“, für das der Situationsfluss unterbrochen werden müsse. Handlungsbegleitende Kognitionen ebenfalls als Reflexion zu bezeichnen, führe zu einer Verw?sserung des Begriffs (ebd.).

Wir verstehen Reflexion, genauer reflection-on-action, als komplexen, von der Situation sich distanzierenden Prozess, der Theorie- und Praxiswissen aufeinander bezieht. Gleichzeitig werden dabei sowohl die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteure als auch die gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen berücksichtigt, um Handlungsalternativen zu entwickeln. reflection-in-action verstehen wir als situationsbezogenes Handeln (d.h. auf der Mikro-Ebene), das einen Teilprozess in einem Zyklus der Reflexionsentwicklung bildet, der nicht isoliert von Prozessen der Reflection-on-action denkbar ist.

Wenn Reflexion nicht als pers?nliche Aufgabe des Einzelnen begriffen wird, ergibt sich für das Lehramtsstudium daraus, dass gemeinsame Reflexion auch institutionell geschaffene R?ume ben?tigt (vgl. H?cker 2017). Eine zentrale Aufgabe der universit?ren Lehrerbildung besteht demnach darin, Anl?sse zu schaffen, in denen reflection-on-action m?glich und reflection-in-action, insbesondere in fachbezogenen Lehr- und Lernprozessen, angebahnt wird, mit dem übergeordneten Ziel, dass Studierende einen Habitus als Reflective Practitioner einüben k?nnen.

Reflexivit?t als Beitrag zur Professionalisierung im Lehramtsstudium

Reflexivit?t l?sst sich als in der Professionalisierung kultivierte Bereitschaft zur Reflexion fassen. Sie gründet in einer inneren Disposition und Haltung, mit der sich (zukünftige) Lehrkr?fte auf sich und auf ihre Umwelt beziehen k?nnen. Im Lehramtsstudium und insbesondere in den Teilprojekten der Bremer Qualit?tsoffensive wird das Ziel verfolgt, mit der Ausbildung einer forschenden Grundhaltung den Aufbau eines reflexiven Habitus als Kern des professionellen Selbst zu unterstützen. Dieses professionelle Selbst ist jene innere Instanz, die im Berufsleben Handlungs- und Entwicklungsf?higkeit im Rahmen von Gelegenheitsstrukturen reguliert. Die vier Teilprojekte der Qualit?tsoffensive Lehrerbildung an der Universit?t Bremen zielen darauf, den skizzierten professionalisierungstheoretischen Ansatz unter dem Leitmotiv Schnittstellen gestalten zu konzeptualisieren:

  • Im Teilprojekt 1 (FIT - Forschungswerkstatt integriert) durch den Aufbau eines online-gestützten Forschungstools (BOOC: Blended Open Online Courses) und durch eine Intensivierung der Vernetzung zwischen den Ausbildungsorten bzw. -phasen (InPhas: Institutionen entwickeln phasenübergreifende Kompetenzen);
  • im Teilprojekt 2 (e-Portfolio) durch eine individuelle Lern- und Dokumentationsplattform;
  • im Teilprojekt 3 (SPP: Studien-Praxis-Projekte) durch Mitwirkung an konkreten Unterrichts- und Schulentwicklungsprojekten;
  • im Teilprojekt 4 (Spotlights Lehre) durch die reflektierende Verzahnung von fachwissenschaftlichem und fachdidaktischem Wissen in praxisnahen Situationen.

Mit diesen innovativen Formaten eines im weiteren Sinne Forschenden Lernens werden folgende Dimensionen einer Lehrerbildung gef?rdert, die auf die Kultivierung eines reflexiven Habitus zielen:

  • Vernetzung und Zusammenhangsstiftung: Die Studierenden sollen fachliches, fachdidaktisches und erziehungswissenschaftliches Wissen nicht nur am Ausbildungsort der Universit?t, sondern auch im Kontakt mit der Schulpraxis in ?bergangsr?umen sinnstiftend in ein Verh?ltnis setzen k?nnen.
  • Selbstbestimmtes Lernen: Die Studierenden sollen ihre Lernprozesse unter Regie nehmen k?nnen und im Sinne von Selbstbildung und in einer aktiven Nutzung der Lerngelegenheiten eigene Entwicklungsaufgaben und -perspektiven formulieren k?nnen.
  • Rekontextualisierungskompetenz: Studierende sollen in Methoden und Praktiken des Reflektierens und der Wissenskonstruktion ausgebildet werden. Um theoriegeleitet das eigene Handeln sowie die Unterrichtspraxis analysieren und reflektieren zu k?nnen, müssen die Studierenden lernen, autonom mit theoretischem Wissen umzugehen und dieses jenseits einfacher ?bertragungslogiken für praktische Kontexte rekonstruieren zu k?nnen.
  • Kooperation: In Antizipation von kollegialer Kooperation als Ort kommunikativer Reflexivit?t sollen Studierende h?ufiger die Gelegenheit erhalten, sowohl mit anderen Peers wie auch mit Hochschullehrenden und Lehrpersonen aus der Praxis gewinnbringend und auf Augenh?he zusammenzuarbeiten. So lernen sie Reflexion nicht als einsame, sondern gemeinschaftliche Praxis der Perspektivenübernahme und -kontrastierung sowie des voneinander Lernens kennen und sch?tzen.

Quellen

H?cker, T. (2017). Grundlagen und Implikationen der Forderung nach F?rderung von Reflexivit?t in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Berndt, T. H?cker, & T. Leonhard (Hrsg.), Reflexive Lehrebildung revisited. Traditionen - Zug?nge – Perspektiven (S. 21-45). Julius Klinkhardt.

Leonhard, T., & Abels, S. (2017). Der ?reflective practitioner“. Leitfigur oder Kategorienfehler einer reflexiven Lehrerbildung? In C.Berndt, T. H?cker, & T. Leonhard (Hrsg.), Reflexive Lehrerbildung revisited. Traditionen - Zug?nge – Perspektiven (S. 46-55). Julius Klinkhardt.

Sch?n, D. A. (1983). The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. Basic Books.