Spielfilm als (inter)kulturelles Lernmoment in der Sekundarstufe II
Interkulturelles Lernen und das Konzept der interkulturellen (kommunikativen) Kompetenz wurden in der Fachdidaktik jahrelang intensiv diskutiert. Interkulturelles ist von hoher Relevanz für die Disziplin, denn ?Sprache und Kultur sind untrennbar miteinander verbunden, […] Kultur wird durch Sprache repr?sentiert und drückt sich in ihr aus“ (G?bel 2007: 36).
Inzwischen scheint die Diskussion um die Interkulturalit?t abzuflauen, es zeigen sich gro?e Schwierigkeiten, die u.a. aus der gewünschten Verbindung des ?hermeneutisch-kulturwissenschaftliche[n] Diskurs[es] innerhalb der Fremdsprachendidaktik“ mit dem ?aktuellen Diskurs der Kompetenzorientierung“ (Hu 2010: 61) resultieren. In Folge dessen muss die Frage gestellt werden, ob es überhaupt realistisch ist, ein der Vielschichtigkeit und Komplexit?t angemessenes Kompetenzstruktur- und Kompetenzentwicklungsmodell zur interkulturellen Kompetenz entwickeln zu wollen (vgl. auch Frederking 2008).
Dennoch ist und bleibt die Kulturdidaktik ein wichtiger Bestandteil des Spanischunterrichts. Und dieser hat auch die Aufgabe, junge Menschen im Sinne Humboldts zu bilden, sie auf gesellschaftliche, soziale, kulturelle und diskursive Anforderungen für ihr zukünftiges Leben in einer von Digitalisierung, Globalisierung, Diversifizierung und Individualisierung gepr?gten Gesellschaft vorzubereiten. Idealerweise kann es allen Schülern erm?glicht werden, ?auf selbstbestimmte Weise in einer Gesellschaft leben“ (Hallet 2009: 31) und aktiv an wichtigen gesellschaftlichen Prozessen partizipieren zu k?nnen. In diesem Rahmen haben Fachdidaktiker wiederholt auf die besondere Eignung authentischer zielsprachlicher literarischer und filmischer Texte aufmerksam gemacht. Die Texte er?ffnen den Schülern eine ?metakulturelle Reflexionsebene“ (Hallet 2010: 156). Bspw. k?nnen die Schüler mittels Perspektivwechsel oder Empathie dazu angeregt werden, sich ihren kulturellen Pr?missen bewusst zu werden, neue Sichtweisen und alternative Handlungsoptionen kennenzulernen. Dabei ist der verantwortungsbewusste Umgang mit Kulturkonzepten von hoher Relevanz: Begriffe pr?gen unser Verst?ndnis von ihnen und haben Auswirkungen auf unser Handeln (vgl. Welsch 2009). D.h. je nachdem welches Kulturverst?ndnis (implizit) vermittelt wird, werden die Schüler diesen in ihren (kulturellen) Handlungen in ihrem lebensweltlichen Umfeld umsetzen.
An dieser Erkenntnis setzt die geplante Studie an: Es soll um die M?glichkeiten gehen, die ein spanischsprachiger Spielfilm den Schülern bietet, auf der ,metakulturellen Reflexionsebene’ filmisch vermittelte Kulturkonzepte zu erkennen. Konkret wird erforscht, wie sich die Rezeption einer Filmsequenz und die Bearbeitung von Lernaufgaben zu dieser auf das Kulturverst?ndnis der Schüler auswirkt. Die Lernaufgaben sollen sich dabei vor allem auf die im Film dargestellten critical incidents d.h. interkulturell aufgeladene Grenzsituationen beziehen, es soll das Filmerleben dokumentiert und die filmischen Szenen im Gruppendiskurs gemeinsam ausgehandelt werden. Sowohl die Schülerprodukte im Anschluss an die Rezeption als auch der Gruppendiskurs bei der Bedeutungsaushandlung spielen dabei eine zentrale Rolle: Sie bieten das Datenmaterial, anhand dessen ich versuche, die Kulturkonzepte der Schüler, d.h. deren ,metakulturellen Reflexionen’ zu rekonstruieren. Bisher gibt es nur wenige empirische Untersuchungen, die sich konkret damit auseinandersetzen, wie und in welchem Ausma? sich bei Schülern bei der Rezeption eines zielsprachlichen Films die gewünschten kognitiv-emotionalen Zust?nde einstellen (vgl. jedoch Freitag-Hild 2010: 159-196) und zudem herauszufinden versuchen, welche Rolle dabei die Lernaufgaben spielen. Auch ist es m?glich, dass die individuellen Erfahrungshintergründe der Schüler einen Einfluss auf ihr Kulturverst?ndnis nehmen. Diese Forschungslücke m?chte ich mit meinem Forschungsvorhaben in Angriff nehmen.
Aus dem oben dargestellten Erkenntnisinteresse lassen sich folgende Forschungsfragen ableiten:
- Inwiefern bietet das Medium Spielfilm einen geeigneten Lernanlass zur metakulturellen Reflexion?
- Inwiefern sind Lernaufgaben dafür geeignet, Schüler zur Reflexion über ihre eigene kulturelle Identit?t(en) und über anderskulturelle Lebenswelten anzuregen?
- Welche Rolle spielen dabei die individuellen Erfahrungsr?ume der Schüler?
Die Datenerhebung teilt sich in zwei Schritte auf:
Zun?chst werden anhand von Frageb?gen die impliziten und individuellen Wissensbest?nde und Orientierungen bzgl. des Kulturverst?ndnisses der Schüler empirisch herausgearbeitet. Auch werden soziodemographische Daten erhoben, um auf m?gliche Zusammenh?nge zwischen individuellem Hintergrund und Art des Denkens hinweisen zu k?nnen.
Der zweite Teil der Studie ist als ein Quasi-Experiment im Rahmen eines Vorher-Nachher-Designs ohne Kontrollgruppe angelegt. Bei diesem rezipieren drei Schülergruppen à zwei/drei Personen am Computer eine Filmsequenz. W?hrend der Rezeption und der Anschlusskommunikation werden sie mithilfe einer Bildschirmaufnahmesoftware und einer weiteren Kamera auf Video aufgezeichnet. Im ersten Durchlauf geschieht die Rezeption ohne Lernaufgabe (Vorher), beim zweiten Durchlauf rezipieren die Schüler die gleiche Szene mit einer Lernaufgabe (Nachher). Methodisch ordnet sich meine Studie in das Paradigma der qualitativen, vornehmlich der rekonstruktiven Sozialforschung ein. Die Auswertung der Daten geschieht mithilfe der dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack et al. 2007). Die Methode wird dem Erkenntnisinteresse und dem Gegenstand gerecht: Zum einen kann sie für die Analyse dessen, was der Begriff Kultur für die einzelnen Schüler darstellt, fruchtbar gemacht werden. Zum anderen kann mit der dokumentarischen Methode eine Rekonstruktion der kollektiven impliziten Wissensbest?nde und der impliziten Regeln der sozialen Handlungspraxis der Schüler herausgearbeitet werden. M?glicherweise kann so auf den Einfluss der Lernaufgabe auf die Ver?nderung der Kulturverst?ndnisse der Schüler hingedeutet werden.
Bibliographie
Bohnsack, Ralf; Iris Nentwig-Gesemann & Arnd-Michael Nohl (Hrsg.) (2007). Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Wiesbaden: VS Verlag.
Frederking, Volker (Hrsg.) (2008). Schwer messbare Kompetenzen. Herausforderungen für die empirische Fachdidaktik. Baltmannsweiler: Scheider Hohengehren.
Freitag-Hild, Britta (2010). Theorie, Aufgabentypologie und Unterrichtspraxis inter- und transkultureller Literaturdidaktik. British Fictions of Migration im Fremdsprachenunterricht. Trier: WVT.
G?bel, Kerstin (2007). Qualit?t im interkulturellen Englischunterricht. Eine Videostudie. Münster: Waxmann.
Hallet, Wolfgang (2009). ?Grundlagen und Perspektiven einer neuen Romandidaktik.“ In: Ders. & Ansgar Nünning (Hrsg.). Handbuch Romandidaktik. Theoretische Grundlagen, Methoden, Lektüreanregungen. Trier: WVT, 29-52.
Hallet, Wolfgang (2010). ?Kulturdidaktik.“ In: Carola Surkamp (Hrsg.). Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart: Metzler, 152-156.
Hu, Adelheid (2010): ?Aspekte der Evaluation interkultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht.“ In: Anette Berndt & Karin Kleppin (Hrsg.). Sprachlehrforschung. Theorie und Empirie. Festschrift für Rüdiger Grotjahn. Frankfurt a. M. u.a.: Lang, 61-71.
Welsch, Wolfgang (2009). ?Was ist eigentlich Transkulturalit?t?“ In: Lucyna Darowska, Thomas Lüttenberg & Claudia Machold (Hrsg.). Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universit?t. Bielefeld: transcript-Verlag, 39-66.
(Promotionsvorhaben, Betreuer: Prof. Dr. Andreas Grünewald, Prof. Dr. Lutz Küster)